Argumentarium: Einheitskasse

Bern/ , 1. Juli 2024

Ausgangslage

Die Schweizer Stimmbevölkerung hat die Idee einer staatlichen Einheitskasse bereits viermal deutlich abgelehnt. Die SP hat als Reaktion auf die vom Volk am 9. Juni 2024 abgelehnten Abstimmungsvorlagen über die Prämienverbilligung und die Kostenbremse angekündigt, sich auf eine neue Initiative vorzubereiten und diese auf Anfang 2025 zu lancieren. Den Initianten ging es damals wie heute darum, der Bevölkerung zu suggerieren, dass eine Einheitskasse DIE Lösung darstellt im Kampf um die stetig wachsenden medizinischen Kosten und dem damit einhergehenden Prämienwachstum. Das ist falsch und irreführend.

Die Position von curafutura kurz zusammengefasst

curafutura lehnt eine Einheitskasse insbesondere ab, weil:

  • die radikale Abkehr von einem bewährten System hoher Qualität unverantwortlich ist;
  • mit einer Einheitskasse der für das System positive Wettbewerb sowie die Wahlfreiheit für die Bevölkerung abgeschafft wird;
  • mit einer Einheitskasse die Kürzung medizinischer Leistungen droht;
  • mit einer Einheitskasse die Steuern erhöht werden;
  • mit einer Einheitskasse die Vielfalt an Versicherungsmodellen verloren geht;
  • mit einer Einheitskasse keine Kosten gespart werden;
  • mit einer Einheitskasse Schuldenwirtschaft droht.

Ziele der neuen Initiativen

Die Delegierten der SP haben bereits im August 2023 die Parteileitung beauftragt, sich mit der Lancierung einer neuen Volksinitiative für eine «öffentliche und soziale Krankenkasse» auseinanderzusetzen. Diese Initiative hat das Ziel, in jedem Kanton eine eigene öffentliche Krankenkasse (Einheitskasse) zu installieren mit der Option, sich zu einer interkantonalen Lösung zusammenzuschliessen. Zur Aufgabe dieser kantonalen Versicherer-Anstalten würde u. a. das Verhandeln der verschiedenen schweizweit zur Anwendung kommenden Tarife gehören. Zudem soll ein Teil der Prämien in die Gesundheitsversorge investiert werden. Die SP-Initianten sind der Meinung, dass mit der Zusammenlegung der heutigen Versicherer zu einer einzigen Einheit mit kantonalen oder regionalen Kassen bei der Werbung, der Verwaltung und den Löhnen der Vermittler sowie der CEO’s und des Verwaltungsrates gespart und angebliche Intransparenzen in den Buchhaltungen und bei den Reserven der Krankenversicherer beseitigt werden könnten. Ausserdem sollen die Versicherten von den Gewinnen an die Versicherten profitieren und ein Teil der Prämien in die Prävention investiert werden.

Inhalt und Pläne der SP sind nicht neu. Neu ist einzig, dass die Bevölkerung gemäss Umfragewerten eine offenere Haltung gegenüber der Idee einer Einheitskasse hat. Das ist insofern problematisch, weil politisch gesteuerte Gesundheitssysteme zahlreiche Nachteile aufweisen, auf welche wir in der Folge näher eingehen werden.

Im Zuge der Diskussionen um eine neue Volksinitiative für eine öffentliche Krankenkasse hat auch der Kanton Genf im Oktober 2023 eine Standesinitiative «Für eine öffentliche Einheitskrankenkasse im Kanton Genf» (Kt. Iv. 23.319) beim Bundesparlament eingereicht. Der Kanton Genf fordert die Bundesversammlung auf, eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass die Kantone alternative Modelle zur Steuerung der Gesundheitspolitik testen können. Der geänderte Rechtsrahmen soll Genf und den anderen Kantonen die Möglichkeit geben, eine Einheitskrankenkasse einzuführen.

Argumente

Nein zur radikalen Abkehr von einem bewährten System hoher Qualität

Das Schweizer Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt. Es garantiert der gesamten Bevölkerung unabhängig vom jeweiligen Einkommen einen raschen und sicheren Zugang zu einer qualitativ sehr guten medizinischen Grundversorgung. Nebst guter Qualität zeichnet es sich durch ein hohes Mass an Wahlfreiheit, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Solidarität aus. Zudem ist es schuldenfrei finanziert. Diese Stärken sind der beste Grund dafür, eine Einheitskasse abzulehnen, denn sie sind das Resultat des regulierten Wettbewerbs – und nicht das Resultat eines verstaatlichten Systems. Das leistungsstarke Gesundheitssystem der Schweiz ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Errungenschaft, die mit der Einheitskasse leichtfertig aufs Spiel gesetzt würde. Eine staatliche Einheitskasse hätte zudem keinen Einfluss auf die kontinuierlich steigenden Gesundheitskosten, weil die Menschen damit nicht weniger oft zum Arzt gingen. Die Prämien, als Abbild der Gesundheitsausgaben, würden deshalb nicht sinken. Die Einführung einer Einheitskasse dürfte zu zehnjährigen Umsetzungsproblemen führen, da die privaten Krankenversicherer in Bezug auf die Grundversicherung «enteignet» werden müssten. Mit dem Wegfall von mehreren Versicherern und dem Wechsel zu einer monopolistischen Einheitskasse würde zudem auch die preisdämpfende Wirkung des heute wettbewerblich organisierten Krankenversicherungssystems entfallen.

Unter der Annahme, dass die Kantone die Betreiber einer solchen kantonalen öffentlichen Krankenkasse sind, verschärft sich die auch heute schon hochproblematische und reformhemmende Mehrfachrolle der Kantone als Leistungsbesteller, Finanzierer, Eigentümer, Leistungserbringer, Aufsichtsbehörde, Tarifgenehmiger und Versorgungplaner. Es ist zu befürchten, dass unterschiedliche Partikularinteressen, die der Föderalismus in der Schweiz mit sich bringt, die interkantonale Zusammenarbeit respektive das Zusammenlegen von kantonalen zu regionalen Einheitskassen erheblich erschwert wenn nicht sogar verunmöglicht.

Nein zur Abschaffung der Wahlfreiheit

Nebst guter Qualität sind der Bevölkerung in der Schweiz bei der Gesundheit vor allem Wahlfreiheit und Selbstbestimmung wichtig. Dazu gehören die freie Arzt- und Spitalwahl sowie die freie Wahl des Krankenversicherers. Zwar schränken rund drei Viertel der Versicherten ihre Wahlfreiheit ein, indem sie sich für ein alternatives Versicherungsmodell entscheiden, ein Viertel will sich jedoch nicht einschränken lassen; und diejenigen die sich für eine eingeschränkte Wahl entschieden haben, können diese wieder kündigen. Die Anteile sind in den letzten Jahren stabil geblieben. Eine staatliche Einheitskasse stünde in krassem Widerspruch zum Bedürfnis der Wahlfreiheit. Sie bedeutete Zwang, denn jedermann müsste bei der staatlichen Einheitskasse versichert sein. Sie stünde für Abhängigkeit, weil sich die Versicherten nicht gegen schlechten Service wehren könnten, indem sie zu einem anderen Krankenversicherer wechseln. Sie stünde für Bevormundung, denn – so zeigen es Auslandvergleiche – je verstaatlichter ein Gesundheitssystem, desto eingeschränkter ist die freie Arztwahl und desto stärker wird der Behandlungsweg diktiert.

Nein zur Kürzung medizinischer Leistungen

Im Krankheitsfall kann heute die gesamte Schweizer Bevölkerung auf eine rasche und qualitativ hochstehende medizinische Versorgung zählen, die von der Grundversicherung vergütet wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand arm oder reich, jung oder alt oder schwer krank ist. Unter Spardruck könnte eine Einheitskasse medizinische Leistungen streichen, so wie das etwa in England der Fall ist: Das Land mit seinem staatlichen National Health Service NHS gilt bei linken Politikerinnen und Politikern oft als das gelobte Land, doch die langen Wartezeiten beim NHS sollten auch den letzten Befürworterinnen und Befürwortern einer Einheitskasse zu denken geben. Zu den langen Wartezeiten kommen Begrenzungen der medizinischen Leistungen dazu. Unter einer Einheitskasse ohne Alternative fehlt der Wettbewerbsdruck, worunter der Kundenservice leiden dürfte.

Nein zur Steuererhöhung

Die Idee der SP, das Gesundheitssystem zu verstaatlichen mit dem Ziel, die Prämien ans Einkommen zu koppeln und die Gesundheitskosten über die Steuern zu finanzieren, würden zu Steuererhöhungen führen. Es bestünde ausserdem die Gefahr, dass Patientinnen und Patienten Leistungen vorenthalten würdenbei schwieriger finanzieller Ausgangslage der Staatsfinanzen.

Nein zur Einschränkung der Vielfalt an Versicherungsmodellen

Der Bundesrat bestimmt, welche medizinischen Leistungen von der Grundversicherung vergütet werden, unabhängig davon, bei welcher Krankenversicherung jemand versichert ist. Die Befürworter der Einheitskasse leiten davon ab, dass es keinen Wettbewerb in der Grundversicherung braucht. Dabei wird völlig ausser Acht gelassen, dass Konkurrenz eine starke Triebkraft für hohe Qualität, guten Service und kundenorientierte Innovationen ist. Wer sich im Markt durchsetzen will, muss sich von den übrigen Anbietern abheben durch rasche Kostenrückerstattung, effiziente und kompetente Kundenbetreuung oder auf spezifische Kundenbedürfnisse zugeschnittene Versicherungsmodelle (Hausarzt-, HMO- oder Telmed-Modell) oder Services wie Apps. Die Versicherten können die Prämienhöhe heute je nach Wahl des Arztmodells und je nach gewählter Kostenbeteiligung selbst beeinflussen. Mit einer Einheitskasse geht diese Vielfalt verloren. An ihre Stelle träte ein einheitliches Versicherungsmodell zu einer einheitlich hohen Prämie.

Nein zum leeren Versprechen «Prämiensenkung»

Die Krankenkassenprämien sind zwischen 2012 und 2022 im Schnitt um 2 Prozent gestiegen. Die Befürworter der Einheitskasse versprechen, dass mit einer Einheitskasse die Kosten im Gesundheitswesen und damit die Prämien sinken. Den Beweis dafür sind sie bis heute schuldig geblieben. Das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie legte 2013 Zahlen auf den Tisch[1]: Alleine die Umstellung des heutigen Systems zu einer Einheitskasse würde die Schweizer Bevölkerung rund 2 Milliarden Franken kosten. Eine vierköpfige Familie müsste dafür rund tausend Franken bezahlen. Der Effekt des Wechsels auf die Gesundheitskosten würde ungleich schwerer ins Gewicht fallen.

Einerseits sollen laut den Initianten der neuen SP-Volksinitiative durch die Einheitskasse mögliche Gewinne an die Versicherten zurückbezahlt und ein Teil der Prämien in die Prävention investiert werden. Allerdings dürfen gemäss der obligatorischen Grundversicherung bereits heute keine Gewinne abgeschöpft werden. Den Krankenkassen ist es lediglich erlaubt, Reserven anzusammeln, um die langjährige Solvenz zu sichern. An diesem System ändert auch die Einheitskasse nichts. Hier wird mit einem falschen Argument um Stimmen geworben.

Andererseits argumentieren die Befürworter der Einheitskasse mit der Senkung der Verwaltungskosten, die wiederum zu einer Prämienreduktion führen sollen. Für Verwaltungskosten werden 5 Prozent der Prämienausgaben aufgewendet. Darunter fallen nebst Personalkosten auch die Ausgaben für Werbung (0.2 Prozent) und Provisionen. In die Verwaltungskosten werden also auch die Löhne der Mitarbeitenden eingerechnet, die unter anderem für die Leistungs-/Rechnungsprüfung als Kernaufgabe der Krankenversicherer zuständig sind. Durch ihre Tätigkeit werden jährlich Kosten in der Grössenordnung von ca. 3.5 Mia CHF eingespart. Auch mit einer Einheitskasse müssten regionale Agenturen betrieben, die Rechnungen genau geprüft, Tarifverhandlungen geführt und die Versicherten beraten werden. Faktisch sind heute rund 95 Prozent der Versicherten bei einem der zehn grössten Krankenversicherer versichert. Die Initianten verkennen, dass auch im System einer Einheitskasse ein Teil der heutigen Verwaltungskosten, die rund fünf Prozent ausmachen, anfallen wird. In einer monopolistischen Einheitskasse ohne Wettbewerb dürften diese Kosten in der Tendenz zunehmen. Es kann darum nicht angenommen werden, dass die Verwaltungskosten der Einheitskasse zwangsläufig niedriger wären als beim heutigen System. Es ist davon auszugehen, dass bei einer Mitgliedschaft ohne Alternative die Servicequalität, die Vielfalt der Versicherungsmodelle und mittelfristig auch das Angebot und die Qualität der medizinischen Leistungen jedoch eher abnehmen würde. Zudem fallen Verwaltungskosten auch bei einer Einheitskasse an, das Einsparpotenzial liegt somit bei weit unter fünf Prozent.

Der weitaus grösste Anteil der Prämiengelder, nämlich rund 95 Prozent, wird für die Kosten der medizinischen Leistungen aufgewendet. Diese Kosten nehmen nur ab, wenn die Bevölkerung weniger medizinische Leistungen in Anspruch nimmt bzw. weniger oft zum Arzt geht. Da die Patientinnen und Patienten nur einen kleinen Teil der Gesundheitskosten selbst tragen, fehlt es am Sensorium, durch das eigene Verhalten die Kosten mitzubeeinflussen. Die Kostenbeteiligung ist seit bald 20 Jahren nicht mehr angetastet worden. Müssten die Patientinnen und Patienten einen grösseren Teil selbst tragen, gingen sie bei Bagatellfällen weniger oft zum Arzt. Damit würden die Prämienzahlerinnen und -zahler entlastet. Mit der Einheitskasse lassen sich deshalb weder Kosten noch Prämien sparen – dieses Versprechen kann nicht gehalten werden. Das hat die Bevölkerung richtig bereits in den vorangehenden Abstimmungen erkannt und daher das Begehren linker Kräfte zurecht stets verworfen.

Nein zu Schuldenwirtschaft

Heute werden die Gesundheitsleistungen in der Schweiz schuldenfrei finanziert. Jede Generation bezahlt das, was sie beansprucht. Den Kindern werden keine Schulden hinterlassen. Mit einer staatlichen Einheitskasse würde sich das ändern. Auslandvergleiche zeigen es deutlich: Je verstaatlichter ein Gesundheitssystem, desto verschuldeter ist es. England und Italien mit nationalen Gesundheitssystemen, aber auch Frankreich mit einem Einheitskassensystem, sind hoch verschuldet. Der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandprodukt (BIP) betrug im Jahr 2022 in Deutschland 12,7 Prozent und in Frankreich11,9 Prozent. Das ist deutlich mehr als in der Schweiz (11,3 Prozent)[2].

Nein zu kantonalen Experimenten

Aktuell wird vermehrt diskutiert, dass das Modell einer Einheitskasse in einem oder mehrerer Kantone getestet werden soll. Solche kantonalen Experimente hätten aber grosse Auswirkungen auf das bisherige System insbesondere im Bereich des Risikoausgleichs und der Tarifpartnerschaft, zudem bringen sie eine Reihe offener Fragen hinsichtlich der Beaufsichtigung der Krankenkassen und der Festlegung der Prämien mit sich. Das Modell einer kantonalen Versuchs-Einheitskasse wäre auch mit dem Zwang zur Teilnahme der Bevölkerung verbunden, was wiederum grosse regionale Ungleichheiten mit sich bringt, wenn nicht alle Kantone eine Einheitskasse errichten. Das Risiko besteht zudem, dass einmal geschaffen, ein solches Experiment auch bei mangelndem Erfolg kaum rückgängig gemacht werden kann und eine ineffiziente und träge Verwaltungseinheit auf ewig zementiert würde.

Fazit

Die Argumente der Initianten sind scheinheilig und suggerieren Kostendämpfung dank einer Einheitskasse. Treibende Kraft beim Prämienwachstum sind aber die beanspruchten Gesundheitsleistungen, die 95 Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Hier muss der Hebel angesetzt werden. Eine staatliche Einheitskasse hingegen dürfte in der Tendenz zu höheren Verwaltungskosten führen bei insgesamt weniger Servicequalität und weniger Vielfalt bei den Versicherungsmodellen mit keinerlei Wahlfreiheit.

[1] Übergang zur Einheitskasse: Schätzung der Systemwechselkosten (ZHAW, 2013): https://www.zhaw.ch/storage/sml/institute-zentren/wig/upload/Bericht_SWK_Einheitskasse_WIG_V3.0_2013_07_04_finale_Version.pdf

[2] Anteil Gesundheitsausgaben an BIP (OECD, 2022): https://data.oecd.org/healthres/health-spending.htm