Editorial: Das Jahr 2023 dürfte richtungsweisend werden

15. Dezember 2022
Pius Zängerle, Direktor curafutura.

Gross war der Aufschrei im November: Das Kantonsspital Aarau brauche dringend eine Finanzspritze über 240 Millionen Franken, vermeldeten die Medien. Die Spitalleitung habe das Finanzhilfegesuch bereits beim Regierungsrat deponiert. Die Wertberichtigung sei dramatisch, so der Verwaltunsratspräsident. Die Organisation sei stabil und liquide. Die Patienten würden versorgt. Aber ohne finanzielle Unterstützung müsse die Bilanz deponiert sowie ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden.

Das Kantonsspital Aarau ist nicht das einzige Spital in Finanznöten. Auch das Kinderspital in St. Gallen lässt ähnliches verlauten. Die Spitalleitung beklagt Unterdeckung vor allem bei den ambulanten Tarifen. Die Ostschweizer Ständeräte machen dieser Tage Druck in Bern.

Ist das nun symptomatisch für die ganze Spital-Branche? Nein, ist es nicht. Andere Spitäler sind gut unterwegs. Dennoch macht der Spitalverband H+ Druck. So auch in seiner jüngsten Medienmitteilung zum Thema Anpassung der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV): «Die Finanzierung der Spitäler und Kliniken im ambulanten Bereich bleibt ungenügend, da die Tarife zu tief sind.»

Als Direktor von curafutura würde ich es etwas anders formulieren: Ärzte operieren heute mit einem veralteten Tarif, der ihre moderne Medizin schon längst nicht mehr adäquat abbildet. Gewisse Positionen sind bis zu 25% zu hoch vergütet – auch im Spital – andere sind bei weitem nicht kostendeckend. Das muss zu Verzerrungen und falschem Anpassungsdruck führen: Am einen Ort zu viel, am anderen zu wenig Leistungen.

Die gute Nachricht: Der von curafutura, FMH und den Unfallversicherern der MTK entwickelte ambulante Einzelleistungstarif TARDOC ist bereit, um eingereicht zu werden – wenn möglich zeitgleich mit den Pauschalen von santésuisse und H+. Dies ist überfällig. Wem kann man schon erzählen, dass wir in der innovativen Schweiz im ambulanten Bereich mit einem Volumen von 12 Milliarden Franken pro Jahr mit einem Tarif operieren, der in einer Zeit genehmigt wurde, als der Bundesplatz noch ein Parkplatz war. Ein Tarif, der seither nie substanziell revidiert worden ist. 

Tarifbüro gegründet

Was mich optimistisch stimmt: Im November haben wir gemeinsam mit santésuisse, FMH, H+ und der MTK  unter der Leitung von Regierungsrat Pierre Alain Schnegg ein nationales Tarifbüro gegründet. Das ist ein weiteres Puzzelstück. Dass wir es allen Unkenrufen zum Trotz geschafft haben, dieses Büro ein Jahr vor der gesetzten Frist zu gründen und prozedural Klarheit rund um die Einreichung der beiden ambulanten Tarife zu schaffen, darf als Schritt in die richtige Richtung beurteilt werden (dazu mehr in diesem Newsletter).

In eine nebulöse Richtung scheint es hingegen bei den Preismodellen für Medikamente zu gehen. Kürzlich hat curafutura die 20 Medikamente mit dem grössten Umsatz analysiert und dabei Interessantes festgestellt: Bei 7 der 20 Medikamente ist ein Preismodell verhandelt worden. Mit anderen Worten: Publik ist nur der Schaufensterpreis, weil die Pharmafirmen nicht wollen, dass der verhandelte Preis bekannt ist. Angesichts des aktuellen Prämiendrucks ist das alles andere als erfreulich, selbst wenn curafutura klar der Ansicht ist, dass es ganz ohne Preismodelle nicht gehen wird.

Preismodelle: Kostentreibend oder kostensenkend?

Unsere Evaluation zeigt anhand zweier Medikamente der Top-20-Liste, dass die verhandelten Preise für die Pharmafirmen zumindest sicher nicht zum Nachteil gereichen. Auch darum fragen wir uns: Sind völlig intransparente Preismodelle nicht eher kostentreibend als kostendämpfend? Und warum wird nicht endlich mit dem Budget-Impakt-Modell bei den Medikamenten vorwärts gemacht. Ein überzeugender Vorschlag ist seit 2020 beim eidgenössischen Departement des Innern und dem Bundesamt für Gesundheit  in Auftrag gegeben. Damals wurde der Vorstoss vom Parlament überwiesen.

Sie sehen es, liebe Leserin, lieber Leser: Es gibt noch viel zu tun. Jetzt aber ist es bald Zeit, einen Gang zurückzuschalten und über die Festtage aufzutanken. Damit wir mit vereinten Kräften zusammen die Herausforderungen im 2023 anpacken können. Es wäre wünschenswert, wenn wir das Jahr nicht gleich mit neuen Spekulationen rund um die Kosten 2022 und die Prämien 2024 beginnen müssten.

Viel besser scheint mir, den Kopf für die wichtigen Reformen freizuhaben und 2023 Nägel mit Köpfen zu machen. Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) hat eben im Ständerat die wichtige Hürde genommen. Sie geht 2023 in die Differenzbereinigung. Ich bin zuversichtlich, dass die wichtigste Reform seit der Einführung des Bundesgesetzes über die Krankenvesicherung KVG im kommenden Jahr grünes Licht erhält. Gelingt das gleiche bei den ambulanten Arzttarifen, würden wir aus gesundheitspolitischer Sicht in ein richtungsweisendes Jahr 2023 rutschen.

Ich wünsche Ihnen frohe Festtage und einen guten Start ins neue Jahr 2023!