EFAS: Schluss mit Debattieren – jetzt ist Handeln angesagt. Wir sind es den Prämienzahlenden schuldig!

Bern/ , 27. Oktober 2022
Mehr ambulante Leistungen sind gewollt, da kostengünstiger. Doch der Prämienzahler bekommt dies paradoxerweise in Form von höheren Prämien zu spüren.

Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) ist politisch unbestritten. Sie gilt als die grösste Reform der vergangenen Jahre mit einem Kostendämpfungspotenzial von geschätzten 1 bis 3 Milliarden Franken jährlich. Seit 13 Jahren am Köcheln, kommt die Reform im Ständerat nicht richtig vom Fleck. Welche Rolle spielen hierbei die Kantone? Und was hat das mit Einfluss, Kontrolle und alten Zöpfen zu tun?

Vor der Prämienkommunikation ist nach der Prämienkommunikation. Bereits in den ersten Wochen des Jahres 2022 äusserten sich Stimmen, die von einem schwarzen Prämienherbst warnten. Es zeichne sich ein Nachholeffekt wegen im ersten Pandemiejahr aufgeschobener Leistungen ab, hiess es. Seither rissen die Meldungen nicht ab, in welchen nicht nur Journalisten schwarzmalten, sich gegenseitig dramatisierend überboten und nach Verantwortlichen und Lösungen für die Misere suchten.

Inzwischen kennen wir die Prämien für das kommende Jahr. Es kommt zu einem deutlichen Anstieg, wenngleich Prognosen mit Prämien für 2023 von über zehn Prozent klar zu pessimistisch waren. 6,6 Prozent steigt die mittlere Prämie im kommenden Jahr.

Eine Lösung, die seit langem auf dem Tisch liegt, und deren Kostendämpfungseffekt bekannt ist, ist die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS). Es ist mittlerweile 13 Jahre her, seit Nationalrätin Ruth Humbel im Jahr 2009 mittels einer Motion verlangte, ambulante und stationäre Leistungen einheitlich zu finanzieren. Das Ansinnen fand rasch Anhänger; mittlerweile ist EFAS wohl DAS unbestrittene Reformprojekt mit einem Kostendämpfungseffekt von – je nach Studie – 1 bis 3 Milliarden Franken jährlich. curafutura, santésuisse, FMH, H+, FMCH, pharmaSuisse, interpharma, economiesuisse, Schweizerisches Konsumentenforum und viele weitere Verbände setzen sich für EFAS ein. Keine andere Reform hat so viele Anhänger und ist auf dem politischen Parkett dermassen unbestritten. Und dennoch kommt das Ansinnen nicht vom Fleck. Es scheint so, als würde sich der Ständerat schwerer tun als der Nationalrat, zu dieser Reform Ja zu sagen.

Optimisten gehen davon aus, dass die Ständeräte schliesslich zu einer Kompromisslösung Ja sagen werden – zu gross dürfte aktuell der politische Druck und die Erwartungshaltung an das Parlament sein, in dieser wichtigen Debatte endlich einen Durchbruch auch im Ständerat zu erzielen.

Kantone profitieren

Bis heute profitieren die Kantone von der politisch gewollten Verschiebung stationärer Leistungen in den ambulanten Bereich, der zu 100 % über die Prämienzahlenden finanziert wird. Die stationären Leistungen hingegen werden zur Hälfte zwischen Steuerzahlenden und Prämienzahlenden aufgeteilt, die Versicherer bezahlen 45 % der Kosten, die Kantone 55 %.

Diese Verteilung ist in diesen Wochen wieder einmal ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gerückt, als es um Lösungen im Zusammenhang mit der wachsenden Prämienlast für die Versicherten ging. Eindrücklich dazu ist das Rechenbeispiel von Nationalrätin Ruth Humbel, die in CH Media sagt: «1996 ist das Krankenversicherungsgesetz in Kraft getreten. Ein Jahr darauf zahlten die Krankenkassen 748 Millionen Franken, der Kanton zahlte 545 Millionen für Aargauer Patientinnen und Patienten. 2019 zahlten die Krankenkassen, also die Prämienzahlenden im Aargau, insgesamt 2,532 Milliarden Franken, der Kanton 809 Millionen plus 106 Millionen Franken Prämienverbilligung.»

Anders gesagt: In den vergangenen Jahren konnten die Kantone mitverfolgen, wie immer mehr Leistungen in den ambulanten Topf abwanderten. Ja, sie haben diesen Prozess sogar aktiv forciert und sich schrittweise aus der Verantwortung geschlichen. Das ist politisch gewollt, da eine ambulante Leistung insgesamt weniger kostet und es viele Patientinnen und Patienten bevorzugen, raschestmöglich nach einem Eingriff nach Hause zu kommen. Indem die Kantone Ja zu EFAS sagen, sagen sie auch Ja dazu, künftig den ambulanten Bereich mitzufinanzieren.

Zankapfel Rechnungskontrolle

Dass der Zankapfel derzeit nebst der Finanzierung der Langzeitpflege die Rechnungskontrolle betrifft, ist nicht weiter erstaunlich. Wer Rechnungen kontrolliert, verfügt direkt über Daten, kann Auswertungen machen, Rückschlüsse ziehen, zur Systemsteuerung beitragen. Bis anhin hatten die Kantone als Mitfinanzierer im stationären Bereich die Möglichkeit, gemeinsam mit den Versicherern die Rechnungen zu kontrollieren. Aus Sicht der Prozessoptimierung macht aber EFAS nur Sinn, wenn eine einzige Instanz die Rechnungen kontrolliert. Schon Nationalrätin Ruth Humbel hat bei der Einreichung ihrer Motion zu EFAS auf diesen wichtigen Umstand hingewiesen.

Aus Sicht der Versicherer ist die Situation klar und auch nicht umzustossen: Doppelte Rechnungskontrolle würde den Prozess unnötig verkomplizieren und verlangsamen. Es macht keinen Sinn, eine doppelte Rechnungskontrolle für 130 Millionen Rechnungen jährlich von zwei Instanzen führen zu lassen. Der Prozess wäre unnötig bürokratisch und für die Versicherten absolut unverständlich. Der Wechsel auf ein System mit einer einheitlichen Leistungsfinanzierung ist nur mit einer funktionierenden Rechnungskontrolle durch eine verantwortliche Stelle sinnvoll. Es ist in der Konsequenz nur logisch, dass die Versicherer, deren Kerngeschäft die Absicherung ihrer Versicherten ist, die Rechnungskontrolle vornehmen. Die Versicherer erfüllen diese anspruchsvolle Aufgabe seit vielen Jahren mit grossem Know-how im Interesse der Prämienzahlerinnen und Prämienzahler. Im umgekehrten Fall würde mit der geforderten vollständigen Datenübermittlung (Einsicht in alle Einzelrechnungen) an die Kantone ohne eindeutigen und begründet notwendigen Verwendungszweck einem «gläsernen Patienten» in der kantonalen Amtsstube Vorschub geleistet.

Alle haben sich bewegt

Eine unlösbare Pattsituation? Alle Player haben im Laufe der Debatte um EFAS eine Entwicklung vollzogen. Viele Forderungen der Kantone sind aufgenommen worden. Die Zulassungssteuerung der Leistungserbringer in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ist in Kraft. Entgegenkommen gab es weiter bei der Übergangsfrist für die Kantone, was die Höhe ihres Finanzierungsanteils anbelangt. Ein kostenneutraler Übergang zu EFAS ist sichergestellt. Auch für die Wohnsitzkontrolle wurde eine Lösung im Sinne der Kantone entwickelt. Und innerhalb der Gemeinsamen Einrichtung KVG soll ein EFAS-Ausschuss mit Beteiligung der Kantone eingesetzt werden. Darüber hinaus deutet einiges darauf hin, dass über eine Integration der Langzeitpflege diskutiert wird, ohne dass die notwendige Voraussetzung der Kostentransparenz schon erfüllt ist.

Gerade in den vergangenen Jahren ist bei vielen die Einsicht gewachsen, dass es EFAS braucht. Kommentare in den Medien wie etwa jener im Tages-Anzeiger anlässlich der Prämienkommunikation bringen dies auf den Punkt: «Gegen die Kostenverlagerung von stationär zu ambulant gibt es ein einfaches Mittel. Künftig sollen die Kantonsbeiträge gleichsam bei stationären und ambulanten Behandlungen fliessen.»

Dem Prämien- und Steuerzahler wie auch dem Patienten dürfte wichtig sein, dass seine Rechnung kontrolliert und dass die Leistung korrekt abgerechnet wird. Mindestens so wichtig dürfte es dem Prämienzahlenden sein, dass seine Prämienlast nicht ungebremst steigt und ein gutes Rezept der Kostendämpfung zum Tragen kommt, wenn sich die Parlamentarier wegen der Rechnungskontrolle einig werden. Es bleibt zu hoffen, dass der politische Druck ausreichend ist, damit es noch in diesem Jahr zu einer Entscheidung kommt. Mit Sicherheit hätte dies auch einen positiven Impakt auf alle weiteren Reformen im Gesundheitswesen.