Einheitliche Finanzierung: Eine politische Reform der Superlative
Bern/ , 10. Dezember 2024Es ist geschafft, die Ziellinie ist endlich überquert! Was für eine Freude und Erleichterung! Es gab Zeiten, in denen wir befürchteten, dass die einheitliche Finanzierung ein Beispiel für Zenos Paradoxon sein würde mit einer Reform, die immer weiter vorankommt, aber nie am Ziel eintrifft. Denn mit jeder Hürde, die das Projekt nahm, tauchte eine neue auf, die wiederum mindestens so beschwerlich war.
Die breite Allianz der Gesundheitsakteure am Abstimmungssonntag
Doch nun ist es beschlossene Sache! Nach 15 Jahren intensiver Arbeit wird die grösste Reform seit dem Inkrafttreten des KVG Realität. Und dazu noch mit dem Siegel des Parlaments und des Volkes bestätigt. Welche Lehren können wir nach diesem Sonntag, dem 24. November 2024, einem historischen Datum für die Gesundheitspolitik, ziehen?
Zustimmung trotz fadenscheinigen Argumenten der Gegner
Zunächst ist da die Genugtuung, den Sieg rationaler Argumente über die populistische Taktik der Referendumsführer miterlebt zu haben. Diese hatten widersprüchliche und sich gegenseitig ausschliessende Argumente verbreitet. So drohten sie mit einer Explosion der Prämien und gleichzeitig mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Personals. Eine absurde Gleichung: Wenn die Prämien explodieren, sprudelt auch das Geld, das in das Gesundheitssystem fliesst. Denn die Prämien gehen zu über 95% an die Leistungserbringer. Diese hätten also die Mittel erhalten, um die behauptete Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu verhindern.
Die gleiche Leere der Argumente findet sich in der zwar erwarteten, aber dennoch bedauerlichen Verteufelung der Krankenversicherer. Die Versicherer würden durch die einheitliche Finanzierung mehr Macht erhalten, wurde dem Volk gesagt. Die Gewerkschaften blieben es aber schuldig, zu erklären, durch welchen mysteriösen Mechanismus diese zusätzliche Macht in deren Hände fallen würde. Die Versicherer sind nämlich vor und nach der Reform an die gleichen Regeln der Rechnungskontrolle gebunden. Und sie müssen sich weiterhin innerhalb des sehr restriktiven und reglementierten Rahmens des KVG bewegen.
Trotz dieses überspitzten Diskurses blieb die Mehrheit standhaft und zog es vor, die einheitliche Finanzierung zu unterstützen. Das ist erfreulich! Wir sehen darin das Beste, was unsere direkte Demokratie zu bieten hat. Das Volk liess sich nicht von Tribunen beeindrucken, die die Apokalypse prophezeiten, sondern folgte der breiten Allianz der Gesundheitsakteure, sah die Chancen, welche die Vorlage bot, und stimmte ihr zu.
Kooperation siegt über Konfrontation
Der Erfolg der einheitlichen Finanzierung ist auch der Triumph eines zentralen Wertes von curafutura, der Kooperation. Die Allianz von Akteuren des Gesundheitssystems, die das Projekt unterstützte, war in ihrer Grösse absolut einzigartig und umfasste rund 50 Verbände. Die Bildung dieser Allianz startete vor bald 10 Jahren. Schritt für Schritt wurde die Allianz aufgebaut und mit Augenmass zum Rückgrat der Systemreform – zuerst gegen innen, dann durch die Gewinnung der Kantone, weiter mit der deutlichen Mehrheit des Parlaments und schliesslich in der Kampagne mit einem soliden, geeinten Auftritt bis zum Abstimmungstag.
Wir sehen in dieser fast einhelligen Meinung der Gesundheitsfachleute, in dieser Bewegung mit Ärzten und Ärztinnen, Apothekerinnen und Apothekern, Spitälern sowie Versicherern und vielen anderen den besten Beweis dafür, dass die einheitliche Finanzierung sinnvoll ist. Und in gewissem Masse auch, dass sie einfach dem gesunden Menschenverstand entspricht. Denn wenn wir heute das KVG neu schaffen müssten, würde niemand auf die Idee kommen, die drei Bereiche ambulant, stationär und Langzeitpflege nach so unterschiedlichen Verteilungsschlüsseln zu finanzieren, wie es heute der Fall ist.
Schliesslich waren alle Akteure in dieser Allianz von den allgemeinen positiven Auswirkungen der Reform überzeugt sowie den Chancen, die diese Reform ihnen speziell bietet. Dies gilt zum Beispiel für die Kantone, die sich durchaus bewusst sind, dass die Reform bei Inkrafttreten zu einer Erhöhung ihrer Beteiligung führen wird. Für sie sind jedoch die positiven Versorgungswirkungen der Reform weitaus wichtiger, da die Verlagerung in den ambulanten Bereich beschleunigt wird, die Koordination zwischen den Gesundheitsfachkräften verbessert und Doppelbehandlungen und -untersuchungen vermieden werden.
Ein Sieg, der zu knapp war, um ihn zu feiern?
Ist ein Ja-Anteil von 53% wirklich genug, um sich vorbehaltlos zu freuen? Ja, denn man darf nicht vergessen, dass dieses relativ knappe Ergebnis auch Ausdruck der Verbundenheit der Schweizerinnen und Schweizer mit ihrem Gesundheitssystem ist, von dem sie wissen, dass es von guter Qualität ist. In diesem Zusammenhang kann eine Änderung auch als Risiko gesehen werden, die das heute recht gut funktionierende System aus der gewohnten Balance bringen könnte. Bei jeder Abstimmung, die das Gesundheitssystem betrifft, wird es darum stets eine beträchtliche Basis von Nein-Stimmen geben. Umso mehr können wir uns freuen, als die Abstimmung über die einheitliche Finanzierung die einzige umfassende Reform des Gesundheitssystems seit 1996 ist, die vom Volk angenommen wurde.
Röstigraben: Eine verpasste Chance
Ein Wermutstropfen, der bedauert werden kann, ist der Röstigraben zwischen einer Deutschschweiz, die die Reform deutlich befürwortet, und einer Romandie, die sie noch deutlicher ablehnt. Sicherlich können taktische Elemente erklären, warum das Nein in der Romandie stärker war. Es waren ja Romands, die die Nein-Kampagne anführten. Während die Deutschschweizer Linke in der Frage gespalten war und viele ihrer Politiker sich für die einheitliche Finanzierung einsetzten, war die Westschweizer Linke geschlossen für das Nein.
Die Opposition der Westschweiz ist jedoch im Grunde paradox: Die Romands haben gegen eine Reform gestimmt, von der sie als Prämienzahler mehr als alle anderen Schweizerinnen und Schweizer profitieren werden. Die Prämienentlastung bei Inkrafttreten der einheitlichen Finanzierung wird in der Romandie höher ausfallen als im nationalen Durchschnitt, da der Grad der Verlagerung in den ambulanten Bereich dort bereits höher ist. Diese Botschaft scheint nicht angekommen zu sein.
Hoffen lässt hier der dritte Landesteil, der sonst oft mit der Romandie stimmt: Das Ergebnis im Kanton Tessin war ein Ja, wenn auch knapp. Hier zeigt sich eben auch exemplarisch: Wenn sich die Leader der Branche offen und deutlich für ein Ja einsetzen, leistet das in der Bevölkerung einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz einer Vorlage.