Erweiterung des Leistungskatalogs: Debatte notwendig, denn das Wachstum geht ungebremst weiter

Bern/ , 20. Oktober 2023
Nachdem im September ein deutlicher Prämienanstieg für 2024 (+8,7%) angekündigt wurde, mehren sich die Stimmen, die eine Debatte über die Entwicklung des Leistungskatalogs fordern. Tatsächlich ist dieser seit dem Inkrafttreten des KVG im Jahr 1996 kontinuierlich erweitert worden. Die Erweiterung der Palette der vergüteten Leistungen wirkt sich stark auf die Kostenentwicklung aus. Dabei ist zu beobachten, dass die Tendenz, neue Elemente in den Katalog aufzunehmen, ungebrochen anhält. Die Handhabung ist träge wie ein Tanker, den man am liebsten stoppen oder wenden würde, der aber noch viele Kilometer weiterfährt.
 
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In der Debatte um steigende Prämien macht folgende Idee die Runde: Die Erweiterung des Leistungskatalogs ist Teil der Gleichung. curafutura hat die Diskussion Ende August anlässlich ihres Jahresmediengesprächs lanciert. So kritisierte Andreas Schönenberger, CEO von Sanitas, die Doppelmoral der Politik und betonte, dass es nicht sein kann, «dass diese ständig neue Leistungen bestellt und sich danach über die Mehrkosten beklagt».

«Wo hört die Verantwortung des Staates auf?»
Auch der Gesundheitsökonom und Professor an der Universität Basel, Stefan Felder, hinterfragte in einem Interview mit curafutura den Leistungskatalog: «Wo hört die Verantwortung des Staates auf? Haben alle Anrecht auf eine ‘Präsidenten-Medizin’, wie sie beispielsweise Joe Biden zukommt? Natürlich nicht: Es muss Grenzen geben, wo die Verantwortlichkeit des Staates aufhört und die der Privatperson beginnt. Diese Diskussion ist unbequem und wird nicht geführt.»

In der Folge schlossen sich weitere Akteure dieser Diskussion an. So war zu vernehmen, dass santésuisse Anfang September ein Moratorium für neue Leistungen forderte und die Groupe Mutuel Anfang Oktober eine Kürzung des Leistungskatalogs der OKP verlangte.

Aus Sicht von curafutura ist es noch zu früh, um zu sagen, mit welchen konkreten Mechanismen die Frage angegangen werden soll. Es ist jedoch festzustellen, dass die von curafutura angestossene Diskussion mittlerweile von einigen Akteuren des Gesundheitssystems aufgenommen wurde. Im politischen Bereich scheint sie jedoch noch zu wenig auf Gehör zu stossen.

Am Tag der Prämienkommunikation werden neue Leistungen beschlossen
Denn am selben Tag (sic), an dem die Prämienerhöhung 2024 angekündigt wurde, was den allgemeinen Unmut der Versicherten, der Politiker und der Medien hervorrief, beschloss das Parlament in aller Ruhe, den Leistungskatalog noch weiter auszubauen. So nahm der Ständerat am 26. September 2023 eine Motion an, die darauf abzielt, eine Pflicht zur Erstattung von Dolmetscherkosten für Personen durch die OKP einzuführen, die keine Landessprache sprechen. Dies, obwohl klar ist, dass die zusätzlichen Kosten beträchtlich sein werden und die Frage berechtigt ist, ob es in der Verantwortung der OKP liegt, Kosten aufgrund von Sprachproblemen zu übernehmen.

Natürlich handelt es sich hier nur um einen Einzelfall und es geht nicht darum, eine Gruppe von Patienten über eine andere zu stellen. Und man hört schon die Befürworter dieser Massnahme uns erklären, dass die dadurch verursachten Kosten nur einen kleinen Teil der gesamten OKP-Kosten von 36 Milliarden Franken pro Jahr ausmachen werden. Dennoch ist diese Episode sehr interessant, da sie die Dynamik, die seit 1996 entstanden ist, deutlich macht: Eine schrittweise und bislang unaufhaltsame Ausweitung des Leistungskatalogs der OKP, eine kategorische Forderung nach der anderen.

Mediendruck für immer mehr
Abgesehen von den konkreten Entscheidungen des Parlaments oder des Bundesrats, die den Leistungskatalog erweitern, muss ein weiteres Element erwähnt werden: Der starke Druck der Medien, immer mehr Elemente in die OKP zu integrieren. Dies gilt beispielsweise für den Off-Label-Use von Medikamenten, bei dem sich einige Medien gerne auf Ablehnungen der Kostenübernahme konzentrieren, obwohl insgesamt über 80% der Anträge angenommen werden. In letzter Zeit konnte man auch Politiker hören, die sich dafür aussprachen, die Kosten für Verhütung in die Grundversicherung aufzunehmen oder die die Tatsache beklagten, dass die Zahnarztkosten nicht enthalten sind.

Dieser Mechanismus wurde kürzlich in einem Gastbeitrag von Jacques-André Haury in L’Agefi beschrieben: «Die Medien tragen eine Mitverantwortung für den Anstieg der Gesundheitskosten. Sie müssen sich dessen bewusst sein und darauf reagieren. Es ist einfach, die Öffentlichkeit auf die steigenden Versicherungsprämien aufmerksam zu machen und, wenn möglich, das System und die Versicherer zu beschuldigen. Aber die Experten der Fakultät über die Effizienz ihrer Vorschläge und die damit verbundenen Kosten zu befragen, erfordert mehr Mut, obwohl genau das von den Medien erwartet werden sollte.»

Schluss mit der Naivität
Aus Sicht von curafutura ist es daher überfällig, eine gewisse Naivität gegenüber den steigenden Gesundheitskosten abzulegen. Ende September die steigenden Prämien zu beklagen und für den Rest des Jahres die Ausweitung der übernommenen Leistungen zu fordern, ist nicht kohärent. Die Politik muss diese Debatte aufgreifen und über konkrete Instrumente nachdenken, um diese Entwicklung zu begrenzen. Dies ist nicht die einzige Massnahme, aber sie ist zentral für eine wirksame Kostendämpfung.