Tribüne: Hausärzte arbeiten mit Netzwerken. Nun will der Bund top-down zusätzliche Netzwerke schaffen und diese auch selbst kontrollieren. Das führt zu weiterer schädlicher Bürokratie!
10. Juni 2024Werden bei der Patientenbehandlung alle Beteiligten miteinbezogen, ist dies effizient, kostengünstig und erfolgreich. Denn so können Doppelspurigkeiten vermieden und der administrative Aufwand minimiert werden. Das Resultat sind zufriedene Patienten, entlastete Ärztinnen und Ärzte und geringere Gesundheitskosten. Geht es nach dem Bund, sollen jetzt neue zusätzliche Netzwerke installiert werden. Was einfach war, soll also komplexer werden. Und kostenentlastend wirken. Das überzeugt nicht.
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht…? Integrierte Versorgung[1], koordinierte Netzwerke[2]. Hausarztmodell[3]? Gesundheitszentrum[4]? Tönt alles irgendwie ähnlich. Und ist doch nicht dasselbe.
Vorbei sind die Zeiten, als es einfach DEN Hausarzt gab. Zu ihm ging man, wenn man krank war. Er diagnostizierte. Und behandelte. Und überwies – nur bei Bedarf – an Spezialisten. Er kannte die Familie, deren Krankenakten, ihre Eigenarten und Gebrechen. Er war Ansprechperson, Diagnostiker, Behandler, Organisator und Koordinator in einem. Und es war gut so.
Jetzt also braucht es ausgewiesene Koordinatoren und integrierte Versorger.
Ursache sind die immer komplexer werdenden Herausforderungen – Überalterung, Multimorbidität, steigende Krankenkassenprämien, Fachkräftemangel, Bevölkerungswachstum, Mobilität und Gesundheit als Lifestyle-Thema. All dies verkompliziert. Es macht teurer. Und unzufriedener – sowohl Ärzte als auch Patienten. Daher braucht es Kontaktpersonen, die die Drehscheibenfunktion wahrnehmen, so der nachvollziehbare Gedanke. Kontaktpersonen also, über welche die Abrechnung läuft. Und die den Patienten als Ganzes erfassen.
Kein neues Thema, nur anders verkauft
An sich ist das kein neues Thema. In der Schweiz sind in den vergangenen 30 Jahren zahlreiche Netzwerke im Sinne der integrierten Versorgung entstanden. Ärztinnen und Ärzte sowie andere Gesundheitsfachpersonen haben sich dabei auf freiwilliger Basis zusammengeschlossen. Sie haben erkannt, wie wertvoll diese Netzwerke sowohl für den Patienten als auch für den Arzt sind.
Diese Netzwerke sind je nach regionalen und demografischen Gegebenheiten unterschiedlich ausgestaltet. Erfolgreich sind sie durch die Pflege langjähriger Partnerschaften, Innovationen und durch die Orientierung an sich wandelnden Bedürfnissen. Das wiederum reduziert die Kosten. Kurzum: Es ist eine Erfolgsgeschichte.
Schädliche Neuerung
Im Rahmen des Massnahmenpakets 2 schlägt der Bundesrat jetzt nochmals ein neues Konstrukt vor, nämlich das «Netzwerk zur koordinierten Versorgung» – ein Zusammenschluss von Gesundheitsfachpersonen unter ärztlicher Leitung. Das tönt gleich wie das, was sich organisch bereits in der Vergangenheit stetig entwickelt hat. Und ist doch nicht dasselbe. So sollen die Netzwerke zur koordinierten Versorgung eine den Patientenbedürfnissen entsprechende Betreuung aus einer Hand gewährleisten. Und zusätzlich bewilligungs- und aufsichtspflichtig sein sowie staatlichen Vorgaben entsprechen. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass alle erbrachten Leistungen gegenüber den Versicherern jeweils über einen einzigen Leistungserbringer abgerechnet werden.
Für curafutura stösst die geplante Massnahme auf Unverständnis. Warum braucht es neue Netzwerke, wenn sich die Basis längst selbst organisiert hat? Damit muss sich der Bundesrat den Vorwurf gefallen lassen, die über mehr als zwei Jahrzehnte gewachsenen und erfolgreichen integrierten Netzwerke zu degradieren, ja zu untergraben. Die bürokratischen Hürden lassen ausserdem einen erheblichen administrativen Mehraufwand erwarten. Genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich möchte. Deshalb erschliesst sich mir der Beitrag zur Kostendämpfung nicht. Es überrascht daher auch nicht, dass hierzu keinerlei Daten oder Schätzungen vorliegen.
Gemäss Stand der aktuellen Debatte will die ständerätliche Gesundheitskommission an den Netzwerken festhalten (der Nationalrat war dagegen). Und dies, obschon die Idee neuer Netzwerke von Leistungserbringern und Experten viel Kritik hielt.
Man kann sich fragen, woher dieser Drang nach neuen, zusätzlichen Netzwerken kommt? Geht es darum, dass ins Massnahmenpaket 2 zwingend noch eine Massnahme reingepackt werden musste, die einfach nachvollziehbar tönt? Obschon keine Notwendigkeit besteht?
Wir alle haben doch mit der einheitlichen Finanzierung EFAS bereits einen neuen Hebel in der Hand, der die integrierte Versorgung weiter voranbringen wird. Denn dank der qualitativ besseren integrierten Versorgung können die so erzielten Einsparungen zu 100 % an die Versicherten weitergegeben werden. Dadurch wird die Nachfrage nach innovativen Ärztenetzen und Versicherungsprodukten erhöht und der Preis- und Qualitätswettbewerb bei den integrierten Versicherungsmodellen weiter angekurbelt.
Ich bin überzeugt: Verzicht, heisst das Bonmot. Wie schwierig das in der Politik ist, wissen wir alle. Durch die politischen Tätigkeiten werden Rahmenbedingungen beeinflusst. Neues soll installiert, bisheriges reguliert werden. Auf eine Massnahme zu verzichten, die als erfolgsversprechende neue Kostendämpfung angepriesen wurde, passt da wenig ins Konzept. In diesem Fall ist es das Beste, über den eigenen Schatten zu springen und jenen das Vertrauen zu schenken, die über die grösste Generalistenerfahrung verfügen und genau das Metier der Koordination seit Jahrzehnten wahrnehmen. Denn sie wollen weiterhin ihre Sache gut machen und diese weiterentwickeln. Es ist besser, auf eine weitere Regulierung zu verzichten, die in diesem Fall gefährlich ist, weil sie die gute Entwicklung gefährdet und somit das Gegenteil von dem bewirkt, was wir eigentlich bezwecken wollten. Oder kurz gesagt, hüten wir uns davor: Gut gemeint, schlecht herausgekommen.
[1] Integrierte Versorgung heisst Vernetzung in der Gesundheitsversorgung. Seit den 90er Jahren wurden in der Schweiz diverse integrierte Versorgungsinitiativen implementiert (s.a. Faktenblatt curafutura)
[2] Koordinierte Netzwerke: Bei der Behandlung und Pflege von Patientinnen und Patienten mit chronischen oder mehrfachen Erkrankungen besteht Koordinationsbedarf. An der Konferenz Gesundheit 2020 vom 26. Januar 2015 wurde deshalb das Projekt «Koordinierte Versorgung» mit koordinierten Netzwerken initiiert.
[3]Hausarztmodell, als Alternative zur regulären Krankenpflegeversicherung, verlangt, dass Sie sich bei gesundheitlichen Anliegen zuerst an Ihren Hausarzt wenden, der dann gegebenenfalls an Fachärzte weiterleitet. Diese enge Bindung zum Hausarzt kann Prämienkosten reduzieren, da die effiziente Erstberatung unkoordinierte und oft unnötige Spezialistenbesuche verhindert.
[4] Gesundheitszentrum bezeichnet verschiedene Einrichtungen im Gesundheitswesen