Immer mehr Preismodelle bei den Medikamenten: Dabei wäre weniger mehr!

15. Dezember 2022
Die Medikamentenpreise sind unter Beobachtung. 

Haben verhandelte vertrauliche Medikamentenpreise eine kostendämpfende Wirkung, wie der Bund suggeriert? curafutura meint, nein. Und zeigt dies anhand einer Evaluation bei den umsatzstärksten Medikamenten, die von der Grundversicherung gedeckt sind. Die Frage ist: Wie weiter? Denn ganz ohne Preismodelle wird es nicht gehen. Daneben braucht es aber zwingend griffige Massnahmen, die zur Anwendung kommen wie das Budget-Impact-Modell. Denn jeder Medikamentenfranken muss mit einem Prämienfranken finanziert werden.

Negativrekorde geben keinen Anlass zur Freude. 2021 überstiegen die Ausgaben für Medikamente in der Grundversicherung die 8 Milliarden-Grenze. Das Beunruhigende: Trotz einer gewissen Kostendämpfung durch die Dreijahresüberprüfung nahmen die Ausgaben bei den Medikamenten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung überdurchschnittlich zu. Sie wuchsen stärker als die Zahl der Medikamentenbezüge, wie das curafutura-Mitglied Helsana in seinem Arzneimittelreport berechnet hat. Eine Trendwende scheint nicht in Sicht. Im Gegenteil. Aktuell kommen viele neue, teure Medikamente auf den Markt.

Dazu passen die unlängst von curafutura errechneten Zahlen für die 20 Medikamente mit dem grössten Umsatz in der Grundversicherung. Sie waren im Jahr 2021 für einen Fünftel der Kosten verantwortlich und generierten zusammen 1.7 Milliarden Franken Umsatz. Damit wuchsen sie mit +13 % viel stärker als die übrigen Medikamente, die von der Grundversicherung bezahlt wurden (+5%). 

Mit dem Schaufensterpreis wird am Markt gearbeitet

Auffällig: Bei 7 der 20 Medikamente der Top 20-Liste sind Preismodelle hinterlegt. Das heisst: Der Preis wurde zwischen dem Bundesamt für Gesundheit und der Pharmafirma vertraulich verhandelt. Der effektiv vergütete Preis wird von den Herstellern nur dann akzeptiert, wenn er vertraulich bleibt und gleichzeitig ein künstlich überhöhter Preis, der sog. Schaufensterpreis, auf der Liste der zu vergütenden Medikamente veröffentlicht wird.

Nun sind Preismodelle an sich nichts Neues. Dass wir ausgerechnet bei 7 von 20 Medikamenten mit den höchsten Umsätzen offiziell im Dunkeln tappen, lässt aber aufhorchen. «Denn es ist ein überhöhter Preis, der für die beteiligten Leistungserbringer und betroffene Patienten publiziert wird», sagt Andreas Schiesser, Pharma-Experte bei curafutura. Für ihn kritisch: «Unter anderem ist es jener Preis, auf dem die Berechnung der Vertriebsmargen sowie der Mehrwertsteuer basieren, ja eigentlich alle Berechnungen, die wir anstellen.» Schliesslich dürfen die Experten den verhandelten Preis nicht kennen. Weiter sei fraglich, so Schiesser, ob durch solch vertrauliche Modelle die Versorgung der Patienten tatsächlich rascher möglich sei, wie immer wieder behauptet werde. «Zumindest wird dies in einer interessanten Studie der Autoren Carl und Vokinger von 2021 angezweifelt.»

Nun wissen wir alle: Die Prämien sind aktuell stark gestiegen. Die berechtigte Frage darum im Kontext mit den vielen neuen teuren Medikamenten, die aktuell auf den Markt drängen:  Sind diese Preismodelle kostentreibend oder kostensenkend, wie der Bund in seinem zweiten Massnahmenpaket suggeriert?


Rückschritt zu erwarten

Aus empirischer Sicht ist die Situation klar: Schaufensterpreise wären nur dann kostensenkend, wenn die effektiv bezahlten Preise tiefer wären, als mit den ordentlichen Preisregeln und transparenter Preisbekanntgabe ermittelt. «De facto dürften die Hersteller jedoch kaum ein Interesse an tieferen Preisen haben», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura. Zudem sei die Pharmabranche für die Schweiz von grosser Bedeutung. «Wenig erstaunlich daher, dass im zweiten Massnahmenpaket des Bundes Preismodelle weiterhin zur Anwendung kommen sollen, jedoch bezüglich der Transparenz ein weiterer Rückschritt vorgeschlagen wird.»

«De facto dürften die Hersteller
 kaum ein Interesse
 an tieferen Preisen haben.»

Pius Zängerle, Direktor curafutura


Um die vertraulichen Preise gegenüber der Öffentlichkeit zu bewahren, kennen laut Helsana-CEO Roman Sonderegger nicht einmal mehr die Ärzte die echten Nettopreise. Sie verrechnen dem Patienten oder dem Krankenversicherer den künstlich überteuerten und nicht wirtschaftlichen Schaufensterpreis. «Mit dieser Intransparenz lässt sich die Kostenentwicklung nicht bremsen», so Sonderegger. Seiner Ansicht nach müssten die Preisregeln geschärft werden. 

Unter den 20 umsatzstärksten Medikamenten gibt es zwei, die weitere Rückschlüsse zulassen zur Frage nach dem preistreibenden Effekt. Es sind die beiden Medikamente Trikafta und Keytruda. Bei beiden hat das BAG mit der Pharmafirma einen vertraulichen Preis verhandelt. Interessant: Die beiden Medikamente weisen im Vergleich mit allen Top-20-Medikamenten in absoluten Zahlen das grösste Kostenwachstum auf, nämlich knapp 74 Millionen Franken.

Administrative Mehrkosten

Im Fall von Trikafta, das gegen zystische Fibrose eingesetzt wird, ist es ausserdem bemerkenswert, dass das Medikament erst im Februar 2021 auf den Markt kam. Für curafutura und seine Mitglieder ist der Fall klar: Es gibt ein gemeinsames Ziel bezüglich eines möglichst schnellen Medikamentenzugangs und es gibt ein Ziel, wo die Interessen der Pharmafirma und Versicherer weit auseinander gehen. Das nachträgliche Erfragen des «echten Preises», die Verheimlichung der wirklichen Kosten für Leistungserbringer, Patienten und Verbände der Krankenversicherer sowie die Rückabwicklung der Kosten mit enormem Zusatzaufwand: All dies sind falsche Ansätze. Sie führen zu administrativen Mehrkosten, die zu Lasten der Prämienzahlenden gehen.  

Nicht nur bei den Top-20-Medikamenten, sondern ganz generell sind Preismodelle im Vormarsch. Insgesamt entfielen von den zwischen 2015 und 2021 neu aufgenommenen Präparaten 39% auf solche mit einem Preismodell. Das ist eine unschöne Entwicklung in einem Themenbereich, bei dem weniger mehr wäre.

Ganz ohne Preismodelle kommen wir vermutlich nicht aus, weil sie den Zugang zu wichtigen Medikamenten vereinfachen. «Es ist aber störend, wie konsequent das BAG die Forderungen der Pharmaindustrie, vor allem bezüglich der Intransparenz, umsetzen will», sagt Pius Zängerle. Zumal, so Pharma-Experte Andreas Schiesser, die Ergebnisse der Studie von Carl und Vokinger aufzeigten, wie wichtig die WHO-Resolution sei, die auf Transparenz bei den von den Regierungen tatsächlich bezahlten Preisen dränge.

Gutes Modell ist bereit

Ein guter Lösungsvorschlag in der Schweiz ist bereits in den Startpflöcken und politisch breit abgestützt. Es handelt sich um das Modell des Budget-Impacts, das auf nachvollziehbaren Preisregeln basiert. Ein entsprechender Vorstoss 19.3703 ist vom Urner FDP-Ständerat Josef Dittli eingereicht und vom Parlament überwiesenen worden. 

curafutura hat unlängst das Kostendämpfungspotenzial errechnet, das mit dem aktuellen Top-1 Medikament Eylea eingespart werden könnte, wäre hier das Budget Impact-Modell schon ab 2014 zur Anwendung gekommen. In einem solchen Modell könnte der Umsatzzuwachs aufgeteilt werden: Die Hälfte des Zuwachses bleibt bei der Pharmafirma, die andere Hälfte kommt den Prämienzahlenden zugute, indem der Preis des Medikamentes reduziert wird. Das Fazit: Nur für das Medikament Eylea wären so Einsparungen von 174 Millionen Franken realisiert worden. Umso unverständlicher, dass der Vorstoss bis heute auf die Umsetzung wartet.