Matthias Schenker: «Es ist absolut gegen unsere Interessen, wenn die Kosten steigen»

Bern/ , 16. Juni 2021
Matthias Schenker, Leiter Abteilung Gesundheitspolitik und Mitglied der Direktion bei der CSS Versicherung.

Sind die Krankenversicherer selber Kostentreiber? Im Gegenteil, sagt Matthias Schenker. Das Direktionsmitglied der CSS Versicherung über angeblich hohe Verwaltungskosten, falsche Anreize und Innovation im Gesundheitswesen.

«Die innovativen Krankenversicherer» steht im Untertitel von curafutura. Sind Sie innovativ?
Unbedingt, auf mehreren Ebenen. Alleine die Digitalisierung hat bei den Versicherern in den letzten Jahren einen grossen Innovationsschub ausgelöst. Bestehende Prozesse wurden weiter automatisiert und optimiert. Nehmen wir das Beispiel der Abrechnungen: Wir setzen auf künstliche Intelligenz, um Fehler zu erkennen oder Muster auszumachen, die in der Masse der Abrechnungen sonst viel schwieriger auszumachen wären.

Gehören neue Versicherungsmodelle auch zur Innovation?
Ja, wir entwickeln attraktive neue Modelle für unsere Kundinnen und Kunden und kaufen auch entsprechende Leistungen ein. Das bringt weitere Innovationen mit sich: Beispielsweise, dass sich die Versicherer und die Ärzte zusammenschliessen, sich untereinander vernetzen und zum Wohle und im Einverständnis der Versicherten Daten austauschen.

Wie profitieren die Versicherten davon?
Egal an welcher Stelle eine Patientin mit dem Gesundheitswesen in Kontakt kommt: Sie kann sicher sein, dass die Ärztin, der Apotheker oder Therapeut ihre Krankengeschichte kennt. Bei der CSS haben wir die Plattform «Well» lanciert. Für unsere Versicherten bedeutet das eine grosse Vereinfachung. Über «Well» haben sie Zugang zu einer ganzen Palette von Angeboten. Sei es, um sich zu informieren, um Arzttermine zu vereinbaren oder mittels E-Rezept gleich Medikamente nach Hause zu bestellen.

Welchen Stellenwert haben die Kosten bei solchen Projekten?
Zwei Aspekte stehen im Vordergrund, wenn wir solche Entwicklungen vorantreiben. Auf der einen Seite die Effizienz: Im Dreieck zwischen Kunden, Versicherern und den Leistungserbringern wollen wir Schnittstellen verbessern, die Interaktion vereinfachen, Synergien erschliessen. Der zweite Aspekt ist die Qualität der Leistungen. Die Integration und Vernetzung fördern die Qualität der Versorgung.

Bedeutet höhere Versorgungsqualität nicht Mehrkosten?
Im Gegenteil. Im Idealfall sprechen sich die verschiedenen Instanzen über eine Behandlung ab. Die Rolle von uns Krankenversicherern liegt darin, diese Koordination zu ermöglichen. Gelingt das, schlägt es sich im Resultat nieder: Eine effiziente Behandlung ohne Leerläufe und Doppelspurigkeiten ist aus Patientensicht besser und wirkt sich auf der Kostenseite positiv aus.

Welches Interesse haben die Krankenversicherern, die Gesundheitskosten im Griff zu bekommen?
In dieser Frage schwingt ein verbreitetes Vorurteil mit: Die Krankenversicherer seien selber Kostentreiber. Sie hätten kein Interesse, die Gesundheitskosten einzudämmen und würden entsprechend auch keine Anstrengungen unternehmen.

Was die Krankenversicherer unternehmen, damit die Kostenspirale nicht einfach weiterdreht.

Was entgegnen Sie?
Das Gegenteil ist der Fall. Es ist absolut gegen unsere Interessen, wenn die Kosten steigen. Dazu muss man wissen: Wir bieten einerseits die obligatorische Grundversicherung an, andererseits Zusatzversicherungen. Die Grundversicherung ist eine Sozialversicherung, es ist von Gesetzes wegen untersagt, Gewinn zu machen. Überschüsse bleiben im System und gehören den Versicherten. Mit Zusatzversicherungen hingegen dürfen wir Geld verdienen. Aber das können wir nur, wenn wir attraktive Prämien in der Grundversicherung anbieten. Wenn jemand aufgrund einer unattraktiven Prämie in der Grundversicherung von der CSS zu einer anderen Kasse wechselt, dann wandert ziemlich sicher auch die Zusatzversicherung ab. Kommt hinzu: Je mehr Geld für die Grundversicherung aufgewendet werden muss, desto weniger bleibt für Zusatzversicherungen übrig. Das heisst: Wenn wir die Kosten in die Höhe treiben, schaden wir uns selber.

Welchen Stellenwert spielen bei diesen Überlegungen die Verwaltungskosten?
Sie tief zu halten, liegt in unserem eigenen Interesse: Das ist der einzige Anteil bei der Grundversicherung, den wir ganz direkt und selber beeinflussen können, um attraktive Prämien anzubieten. Bei einer vierköpfigen Familie machen tiefe Verwaltungskosten schnell einige Hundert Franken aus.

Wie sehen Sie die Rolle der Krankenversicherer, um den stetig steigenden Kosten im Gesundheitswesen entgegenzuwirken?
Ich sehe da eine Reihe von Möglichkeiten. Wir müssen uns so organisieren, dass wir unsere Aufgaben und Leistungen möglichst effizient erbringen können. Dann liegt es in unserer Verantwortung, mit den Leistungserbringern attraktive Tarife zu verhandeln. Und wir müssen schauen, dass wir bei der Rechnungskontrolle sehr genau überprüfen und allenfalls beanstanden. Für unsere Kundinnen und Kunden versuchen wir möglichst attraktive Angebote anzubieten, damit sie sich im Gesundheitswesen zurechtfinden, gut und kosteneffizient behandelt werden.

Wie wichtig ist dafür der Wettbewerb unter den Versicherern?
Die Konkurrenz schafft einen grossen Anreiz, gute Angebote und Prämien anzubieten sowie die Verwaltungskosten möglichst tief zu halten.

Als ein Mittel der Kostendämpfung wird immer wieder die Einheitskasse angeführt, weil ein Teil der Kosten des Wettbewerbs von vornherein wegfallen.
Es gibt tatsächlich Kosten, die nicht mehr anfallen würden. Gewisse Werbekosten etwa oder auch die Kosten eines Versicherungswechsels. Auf der anderen Seite müssten die Versicherten auf die Vorteile verzichten, die der Wettbewerb mit sich bringt. Diese überwiegen aus meiner Sicht klar. So könnten die Kundinnen und Kunden den Anbieter nicht mehr wechseln, wenn sie unzufrieden sind. Und ohne Wettbewerb entfällt der Anreiz, attraktive Produkte und Prämien und einen guten Service anzubieten. Was die Verwaltungskosten betrifft, sind wir auch aus diesem Grund sehr effizient. Die Verwaltungskosten bei bestehenden Einheitskassen wie der Arbeitslosenversicherung oder der Suva  liegen eher im Bereich von 10 Prozent.

Bei den Krankenversicherern sind es knapp unter 5 Prozent. Sehen Sie da noch Sparpotenzial?
Ein Beispiel: Bei der CSS wurden im vergangenen Jahr rund 19,2 Millionen Rechnungen geprüft. Dabei haben wir 649 Millionen Franken falsch und zu viel verrechnete Leistungen festgestellt. Wären diese unentdeckt geblieben, hätte das einen direkten und substanziellen Einfluss auf die Prämien gehabt. Die Frage ist also: Wie viel Geld investieren wir wo und was erreichen wir damit?

Ihre Antwort darauf?
Wenn man über die 5 Prozent Verwaltungskosten spricht, dann darf man diese nicht per se als Kosten sehen. Es ist vielmehr eine Investition in Dienstleistungen und Produkte, die besser werden. Und es ist eine Investition in die Kostendämpfung.

Ein Rezept gegen stetig steigende Krankenkassen-Prämien: Mehr Kommunikation und Koordination zwischen den Akteuren.

Wie ist das Image der Krankenversicherer in der Öffentlichkeit?
Viele Krankenversicherer haben bei ihrer Kundschaft ein gutes Image. Die Branche hingegen hat hier noch Potenzial zur Verbesserung.

Weshalb ist das so?
Die Krankenversicherer sind der Fiebermesser des Gesundheitswesens: Wenn die Kosten steigen, steigen die Prämien. Wir sind die Überbringer der schlechten Botschaft, wenn wir im Herbst unsere Prämien erhöhen müssen. Zudem befinden sich Krankenversicherer in einem ständigen Clinch. Auf der einen Seite verhandeln sie mit den Leistungserbringern die Tarife, auf der anderen Seite sind die Versicherten, die möglichst tiefe Prämien möchten.

Wie sehen Sie das Gesundheitswesen der Zukunft?
Die Zukunft gehört der Integration und der Zusammenarbeit sämtlicher Akteure. Nur so können wir mit der medizinischen Entwicklung Schritt halten, die nicht nur mehr Möglichkeiten mit sich bringt, sondern auch mehr kostet. Wenn es uns nicht gelingt, effizienter zu werden, besser und enger zusammenzuarbeiten, dann wird das System irgendwann nicht mehr tragbar sein.