Off-Label-Use von Medikamenten: Gute Lösung macht Schule
Bern/ , 16. März 202310 Krankenversicherer koordinieren sich beim Off-Label-Use von Medikamenten auf einer gemeinsamen Plattform und bereits gibt es weitere Interessenten für eine Mitgliedschaft. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die gleich in mehrfacher Hinsicht Vorbildcharakter hat.
Gute Lösungen stossen schnell auf Interesse. Erst recht, wenn der Status Quo immer wieder Gegenstand von hitzigen Diskussionen ist. So wie es bei der Handhabung des Off-Label-Use in der Schweiz der Fall ist.
Negative Schlagzeilen zum Thema gibt es zuhauf. Und dies, obschon das jetzige System nach Ansicht von curafutura grundsätzlich zufriedenstellend ist. Für die Bewilligungspraxis beim Off-Label Use sind die Vorgaben klar definiert. Zusätzlich trägt seit vergangenem Jahr eine neue Plattform mit hinterlegten Studienratings zur flächendeckend einheitlichen Beurteilung der Einzelfallgesuche bei. Der Plattform haben sich bereits 10 Versicherer angeschlossen. Das entspricht einer Patientenabdeckung von über 80 Prozent.
Auch wenn viel vom Gesetz die Rede ist: Im Zentrum der Diskussion steht der Mensch.
- Eine Patientin oder ein Patient bekommt von der Versicherung ein Medikament nicht bezahlt, das sich nicht auf der Liste jener Medikamente befindet, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet werden.
- Das Medikament ist zwar auf dieser Liste, jedoch für einen anderen Anwendungsbereich vorgesehen.
- Das Medikament ist von Swissmedic nicht zugelassen und soll daher im sog. «Off-Label-Use» zur Anwendung kommen – also der Anwendung ausserhalb der Regel.
Aufgabe der Krankenversicherer ist es dabei, NICHT das Schicksal der betroffenen Person in den Vordergrund zu stellen. Ihr Auftrag ist es, nach klar definierten Kriterien, die in Artikel 71a – 71d der Verordnung über die Krankenversicherung KVV festgelegt sind, nach einem Antrag auf Kostengutsprache den Ausnahmefall nüchtern zu beurteilen, inwiefern eine Medikation im Off-Label-Use vom Krankenversicherer im Einzelfall bezahlt werden darf.
Der Monitoring-Bericht aus dem Jahr 2019 des Bundesamtes für Gesundheit zeigt: Rund 80 Prozent der Einzelfallgesuche werden gutgeheissen. 20 Prozent werden abgelehnt. Letzteres kann sein, weil es sich nicht um eine lebensbedrohliche, schwere Krankheit handelt, weil Behandlungs-Alternativen bestehen, oder weil der erwartete therapeutische Nutzen nicht gross genug, respektive das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht angemessen ist.
Offensive statt Verteidigung
Vor einem Jahr sind die vier Krankenversicherer von curafutura CSS, Helsana, Sanitas und KPT zusammen mit dem Santésuisse-Mitglied SWICA in die Offensive gegangen. Gemeinsam haben sie sich entschlossen die Nutzenbewertung von neuen Wirkstoffen auf Basis publizierter klinischen Studien vorznehmen und sich auf der digitalen Plattform Smartrating zu organisieren.
Wie das so ist, wenn die Kritik gross und die Lösung gut ist, ging es schnell, bis sich weitere Versicherer der Initiative anschlossen. Gut ein Jahr nach dem Start sind auch Concordia, Groupe Mutuel, Visana, Sympany und Atupri mit an Bord. Und es gibt bereits weitere Interessenten, die sich aller Voraussicht nach der innovativen Lösung anzuschliessen werden, womit die Abdeckung nahezu vollständig ist.
Die Vorteile der Plattform sind offensichtlich: Gleiche Ausgangslage für alle Beurteilungen, rechtsgleicher Zugang für die Patienten durch eine schweizweit einheitliche und breit abgestützte, wissenschaftliche Studienbeurteilung, die Einbettung in den klinischen Kontext, die transparente Darstellung der Entscheide sowie digitalisierte Abläufe.
In der Praxis funktioniert die Zusammenarbeit wie folgt: Wirkstoff, Indikation, Studien werden von den Vertrauensärzten der angeschlossenen Versicherer auf der Plattform platziert. Die Vertrauensärzte der teilnehmenden Versicherer geben ihr Rating ab; diese werden gemeinsam diskutiert. Das Ergebnis: Eine gemeinsame einheitliche Beurteilung. In der Folge wird das Branchenrating auf der Plattform festgehalten. Die Vertrauensärzte nutzen dieses als Basis bei der jeweiligen Einzelfallbeurteilung.
Erneut Brennpunkt in Politik und Medien
Nachdem zu Jahresbeginn ein Einzelfall basierend auf einem abschlägigen Studienrating in den Medien beleuchtet wurde, und der Off-Label-Use im Rahmen der Revision bei den Medikamenten zur Debatte steht, ist es curafutura wichtig, diese Plattform als offensichtlichen Mehrwert für alle Akteure zu beleuchten.
Die Plattform ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Für die Patienten, da sie sich sicher sein können, dass die Beurteilung breit abgestützt ist. Für die Vertrauensärzte, weil sie ihre Entscheide schneller und auf einer soliden Basis fällen können, was wiederum für die Patientinnen und Patienten wichtig ist. Und weil das Vorgehen einheitlich und somit nachvollziehbar ist. Aber auch der Zusammenschluss von 10 Versicherern zeigt: Bei guten Ideen spannt die Branche schnell und unkompliziert zusammen.
«Vom Ergebnis sind die angeschlossenen Versicherer überzeugt, weil einheitliche Studienratings flächendeckend zur Verfügung stehen», sagt Andreas Schiesser, Projektleiter Pharma und Medikamente.
Experten werden bereits beigezogen
Dass nun unter anderem die Forderung im Raum steht, einen Expertenrat die Beurteilung vornehmen zu lassen, ist für curafutura insofern zu hinterfragen, «weil Experten bereits heute im wöchentlichen Austausch bei Bedarf und Unklarheit zur Stellungnahme beigezogen werden und dieser pragmatische Ansatz auf positives Echo stösst», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura.
Die Plattform sei in der Tat ein gutes Beispiel für gemeinsame Zusammenarbeit zugunsten der Patientinnen und Patienten, so Zängerle. Würde dieses Beispiel einer unkomplizierten, effizienten und effektiven Kooperation Schule machen, wäre dies nach Ansicht von curafutura sehr zu begrüssen. Wird jetzt im Rahmen der KVV-Revision eine neue Lösung aus dem Boden gestampft, nachdem diese Initiative auf breite Zustimmung stösst und bereits 10 Versicherer mit einer Patientenabdeckung von 80 Prozent dabei sind, werde die Botschaft ausgesandt: Nur, was Top-down komme, sei gut. Wirksame Eigeninitiative der Akteure hingegen werde torpediert, selbst wenn sie beinahe flächendeckend umgesetzt, wenig Ressourcen fressend und erst noch einfach strukturiert statt stark reguliert ist.