Tribüne: Ungesunder Druck der Pharmafirmen

16. März 2024

Was im Bankensektor in der Schweiz die Firmen CS und UBS sind (respektive waren), sind in der Pharmabranche Firmen wie Novartis und Roche, Johnson & Johnson und MSD. Und mit ihnen ein Dutzend weitere Unternehmen mit uns bekannten, wohlklingenden Namen. Während der Bankenplatz Schweiz in den vergangenen Jahren stark an Ausstrahlung verloren hat, ist die Einflussnahme der Pharma-Industrie in der Schweiz unverändert hoch. Die rund 1’000 Unternehmen mit ihren rund 75’000 Mitarbeitenden generieren zusammen die Hälfte des Schweizer Exportvolumens. Entsprechend ist ihr Einfluss auf Bundesrat und Behörden.  

Pius Zängerle, Direktor curafutura

Dieser Einfluss hat direkte Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Prämienzahlerinnen und -zahler. Die Pharmafirmen wissen um ihren Marktwert. Entsprechend stark positionieren sie sich in Verhandlungen. Das sieht man gut an der Preisdynamik von neuen, teuren Medikamenten. Während eine neue Therapie in der Onkologie gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) vor 10 Jahren noch 1’000 Franken kostete, sind es heute rund 10’000 Franken. Das ist eine Verteuerung um 900 Prozent! Im gleichen Zeitraum, also von 2012 bis 2022, sind die Prämien gerade einmal um etwas mehr als jährlich 2 Prozent gestiegen.

Was bedeutet das jetzt für die Patientinnen und Patienten und für die Prämienzahlerinnen und -zahler? Die positive Nachricht: Die Patienten profitieren in der Schweiz von vielen neuen Therapien, die früh auf den Markt kommen. Die negative Nachricht: Der Preis für neue Medikamente ist zu hoch. Das bezahlen die Prämienzahlerinnen und -zahler über ihre Prämien. Dabei sind die Medikamente schon heute ein grosser Kostentreiber. Sie machen knapp einen Viertel der Ausgaben der Grundversicherung aus.

In der aktuellen parlamentarischen Debatte im Rahmen des zweiten Massnahmenpaketes geht es um diese Thematik. Die Pharmabranche will, dass neue Medikamente, ob mit oder ohne grossen Nutzen, ab dem Tag ihrer Swissmedic-Zulassung zu einem bestimmten Preis X auf die Liste (SL-Liste) mit jenen Medikamenten kommen, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bezahlt werden. Dass die Pharmafirmen dabei mit einem möglichst hohen Startpreis auf die SL-Liste wollen, ist renditetechnisch gesehen nachvollziehbar. Unverständlich ist aber, dass der Bundesrat in der aktuellen Debatte verstärkt auf Schaufensterpreise setzt. Diese werden auf Basis eines Auslandpreisvergleichs mit künstlich hoch geschraubten Werten berechnet. Das schlägt dann auch beim Netto-Einstiegspreis in der Schweiz durch. Kommt erschwerend hinzu, dass die Pharmabranche als einzige das Recht hat, gegen Preiskorrekturen des Bundes zu rekurrieren. Damit hält sich ein einmal festgesetzter, zu hoher Preis viel zu lange – auf Kosten der Versicherten, die diesen Preis via Prämien bezahlen.

Auch die Versicherer wollen, dass neue Medikamente mit nachgewiesenem hohem Nutzen so schnell wie möglich für ihre Versicherten zur Verfügung stehen. Hingegen unterscheiden sich Pharmabranche und Versicherer in der Absicht, ab wann ein Medikament auf die SL-Liste kommt. Für Versicherer ist klar: Das kann nicht für alle Medikamente gleichzeitig mit ihrer Marktzulassung erfolgen, wenn ein passender Preis gar noch nicht feststeht. Zumal eine im Auftrag von curafutura erstellte Studie aus dem Jahr 2020 zum Schluss kommt, dass die zur Preisfestsetzung und Preisüberprüfung verwendeten Kriterien des Auslandpreisvergleiches (APV) und des therapeutischen Quervergleiches (TQV) nicht ausreichen, um den fairen Preis zu definieren.

Entsprechend braucht es einen Zwischenschritt mit einer Liste für jene Medikamente, bei denen der hohe Nutzen klar erwiesen ist und die erst provisorisch vergütet werden. Sie sollen in einem zweiten Schritt von dieser «Startrampe» auf die definitive SL-Liste kommen, sobald der marktgerechte Preis ermittelt ist. Dabei verlangen wir, dass die überwiesene Motion Dittli mit Berücksichtigung des erzielten Umsatzes umgesetzt wird. Denn mit zunehmendem Umsatz werden auch Skaleneffekte erzielt, die Forschungs- und Entwicklungskosten mehr als decken und die Produktionskosten pro Packung senken.

Interessant an der Debatte im Parlament ist, dass dieses – Stand heute – gewillt scheint, der Argumentation der Pharmabranche zu folgen. Im Sinne des Prämienzahlers gilt es hier Gegensteuer zu geben. Denn der Blick auf den Patienten und der damit einhergehende Wunsch nach einem möglichst schnellen Zugang von Medikamenten mit hohem Nutzen ist das eine. Der Blick auf den Prämienzahler aber das andere. Es darf nicht sein, den Versicherten zum wiederholten Mal in Folge massive Prämienaufschläge zuzumuten, weil dieses Mal die Politik der Pharmabranche blind folgt.