Versicherungspflicht für inhaftierte Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz
1. Februar 2024Die KVG-Änderung schwächt die Solidarität in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und führt zu administrativen Mehrkosten. curafutura lehnt die Vorlage deshalb ab.
Position curafutura
- Mit der vorliegenden Gesetzesänderung bezwecken die Kantone, eine bisher ihnen zugeteilte Aufgabe und Verantwortung den Versicherern und damit den Prämienzahlerinnen und Prämienzahlern zu übertragen.
- Die Gesetzesänderung höhlt die Solidarität in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) aus und führt zu administrativen Mehrkosten.
- curafutura lehnt daher die Einführung einer Versicherungspflicht für inhaftierte Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz dezidiert ab.
Begründung
Solidarität nicht überstrapazieren
Inhaftierte Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz haben in der Regel keinen näheren Bezug zur Schweiz. Der Bezug zur Schweiz besteht oftmals sogar rein aufgrund der Delinquenz.
Die OKP baut auf dem Solidaritätsprinzip auf. Diese Solidarität würde überstrapaziert, wenn sie auch für Personen gelten müsste, welche kaum eine Beziehung zur Schweiz haben, hier keine Steuern bezahlen und noch keine Prämien oder sonstige Sozialversicherungsbeiträge bezahlt haben.
Die Kosten für medizinische Behandlungen von inhaftierten Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz sollen deshalb weiterhin von den Kantonen getragen und über die Steuern bezahlt werden. Dies ist wesentlich gerechter, weil sich dadurch auch juristische Personen an den Kosten beteiligen.
Administrative Mehrkosten
Die Gesetzesänderung führt zu einem administrativen Mehraufwand, insbesondere bei Personen mit kurzer Haftdauer. Zum einen gibt es mehr An- und Abmeldungen als bei anderen Versicherten, was eine Herausforderung für die Festlegung der Versicherungsdauer ist. Zum anderen ist davon auszugehen, dass viele der Inhaftierten Anspruch auf eine Prämienverbilligung haben. Dies löst einen zusätzlichen aufwändigen Abklärungsprozess aus.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird eine Mehrheit der inhaftierten Personen ihre Prämien nicht bezahlen können. Vermehrte Mahnungen und Betreibungen sind die Folge. Wenn ein Verfahren mit der Ausstellung eines Verlustscheins endet, kann es zu Schwierigkeiten bei der Übernahme der Forderung durch den zuständigen Kanton kommen. Dies besonders bei Personen, die nach der Haftentlassung des Landes verwiesen werden.
Auch bei der Abrechnung von medizinischen Leistungen ist mit einem erhöhten administrativen Aufwand zu rechnen: Es muss zwingend zwischen einer medizinisch notwendigen Behandlung nach KVG und den besonderen Umständen der Überwachung von Inhaftierten bei Aufenthalten ausserhalb der Gefängnisse (Einzelzimmer in Spitälern; bewachte, aber nicht medizinisch indizierte Transporte etc.) differenziert werden. Solche Kosten dürfen nicht von der OKP übernommen werden. Die Erfahrungen mit inhaftierten Personen mit Wohnsitz in der Schweiz zeigen jedoch, dass versucht wird, möglichst alle Kosten der Grundversicherung in Rechnung zu stellen. Die Versicherer müssen dann solche Rechnungen vertieft kontrollieren und die Übernahme der Kosten ablehnen.
Der erhöhte administrative Aufwand für diese Personengruppe bedeutet Mehrkosten für die Versicherer, welche die Versicherten über die Prämien bezahlen müssen.
Freiwillig für die Krankenversicherer – Wirklich?
Obwohl im Gesetzesentwurf nicht ausdrücklich geregelt, wird im erläuternden Bericht an mehreren Stellen erwähnt, dass die Krankenversicherer freiwillig entscheiden können, ob sie inhaftierte Personen versichern wollen. Basis für die Versicherung solcher Personen sei ein Rahmenvertrag, der nur zustande kommt, wenn sich die Vertragsparteien, also ein Kanton und ein Versicherer, einig werden.
Was geschieht aber, wenn kein einziger Versicherer einen Rahmenvertrag abschliessen will? Auf diese Frage ist im erläuternden Bericht keine Antwort zu finden. Dies wohl aus gutem Grund, weil sich nämlich Versicherungspflicht und Freiwilligkeit widersprechen: Wenn inhaftierte Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz neu der Versicherungspflicht unterstehen sollen, müssen sie irgendwo versichert werden. Das bedeutet konkret, dass ein Kanton die bei ihm inhaftierten Personen auch ohne einen Rahmenvertrag bei einem Krankenversicherer unterbringen muss und der betroffene Versicherer diese aufgrund der Aufnahmepflicht nicht ablehnen darf. Das angedachte «Konstrukt» ist folglich für die Versicherer de facto nicht freiwillig.
Fazit
Die Gesetzesvorlage ist der Versuch der Kantone, eine bisher ihnen zugeteilte Aufgabe und Verantwortung den Versicherern und damit den Prämienzahlerinnen und Prämienzahlern zu übertragen. Das Argument der «Freiwilligkeit für die Versicherer» erweist sich dabei als Trugschluss. Die Einführung einer Versicherungspflicht bei inhaftierten Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz führt zu höheren administrativen Kosten bzw. Prämien und höhlt die Solidarität in der OKP aus. curafutura lehnt daher die Vorlage dezidiert ab.