Beschwerderecht: Wegweisender Entscheid dürfte Spitalplanung beeinflussen
Bern/ , 17. März 2022Das Universitätsspital Basel baut einen neuen Tower. Auch andere Spitäler rüsten auf. Dabei geht der Trend weg von den stationären Behandlungen. Ambulant ist in aller Munde. Wie passt das zusammen? Was bewirken Spitallisten? Und wie ist das vom Parlament gutgeheissene Beschwerderecht für Krankenversicherer-Verbände gegen Spitalplanungsentscheide der Kantone zu beurteilen?
Das Parlament hat Ende Februar einen bemerkenswerten Artikel beschlossen. Neu sollen die Versicherer-Verbände ein Beschwerderecht bei der Spitalplanung der Kantone erhalten. Der Entscheid dürfte richtungsweisend sein und Signalwirkung entfalten, sollten beide Räte in der Schlussabstimmung dem ersten Massnahmenpaket zustimmen und somit das Ja zum Beschwerderecht für Krankenkassen-Verbände verankert werden.
Rund eine Million Menschen müssen jedes Jahr in der Schweiz ins Spital. Für sie zählt nur die beste Behandlung. Welches Spital sie auswählen, hängt mitunter von der Komplexität des Eingriffs, der Versicherungsleistung, der Nähe zum Wohnort und der Spitalliste des jeweiligen Kantons ab.
Die Auswahl ist gross. Die Schweiz verfügt über eine der grössten Spitaldichten weltweit. Oftmals verfügt ein Kanton über mehrere Spitäler mit ähnlichem Leistungsangebot. Das führt automatisch zum Wettbewerb. Wer am Markt bestehen will, braucht gutes Personal, eine initiative Spitalorganisation, moderne Infrastruktur und das entsprechende Marketing. Viele Bauten sind in die Jahre gekommen, sie stammen noch aus den 1970er- und 1980er-Jahren. Und der Anspruch vieler Schweizerinnen und Schweizer ist überdurchschnittlich.
Investitionsbedarf von 20 Milliarden Franken
Wenig verwunderlich, dass in den vergangenen Jahren viele Spitäler aufgerüstet haben. Licht am Ende des Tunnels ist nicht in Sicht. Der aktuelle Investitionsbedarf wird laut einer aktuellen Studie der Zürcher Kantonalbank (ZKB) auf 20 Milliarden Franken geschätzt. Verbesserungsmassnahmen hinsichtlich Profitabilität und Cashflow sind das alles beherrschende Thema, schreibt die ZKB; die Base-Rate von Swiss DRG führe zusätzlich zum Kosten- und Wettbewerbsdruck. Um Markteintrittsbarrieren zu schaffen, werde aufgerüstet.
Unter diesem Blickwinkel erstaunt es wenig, dass das Universitätsspital Basel einem Neubau plant. Der 68 Meter hohe Turm der Stararchitekten Herzog & de Meuron soll als Rochade-Fläche bei der Gesamterneuerung des Klinikums dienen. Der Neubau wirft Wellen – wegen seiner Höhe und seiner Strategie. Handelt es sich um Investitionsbedarf oder um eine Erweiterung des Volumens? Schon heute hat das Unispital Basel die Nase vorne. Im Spital-Ranking des US-Nachrichtenmagazins Newsweek ist das Universitätsspital Basel erst vor wenigen Wochen von Platz 35 im Jahr 2021 auf den 14. Rang vorgerückt (Uniklinik Lausanne auf Platz 11, Uniklinik Zürich auf Platz 15). Platz 14 im weltweiten Vergleich ist gut für die Reputation der Schweiz, für den Standort Basel, für unser Gesundheitssystem und für die Patienten, die sich in guten Händen wissen.
Trend geht in Richtung ambulant
Das Wettrüsten im Spitalsektor wirft aber auch Fragen auf. Wie sinnvoll ist das in der heutigen Zeit – angesichts der Tatsache, dass immer mehr Behandlungen ambulant durchgeführt werden? Der Grund liegt auf der Hand. Die technischen Errungenschaften und der medizinische Fortschritt führen dazu, dass Patienten am Tag der Behandlung einrücken und am selben Tag wieder nach Hause gehen können. Für die Spitäler ist das ein zweischneidiges Schwert. Die Vorteile ambulanter Eingriffe liegen auf der Hand. Die Kosten fallen deutlich tiefer aus als bei einer stationären Behandlung. Und der Patient ist schnell wieder zu Hause.
Diesem Trend wollen die Spitäler keinen Einhalt gebieten. Können sie auch nicht. Die Stossrichtung ist politisch gewollt, um das System finanziell zu entlasten. Auch darum haben die Kantone und der Bund eine Liste von Behandlungen erstellt, die nur noch ambulant durchgeführt werden dürfen, sofern keine medizinischen Gründe dagegensprechen. Ambulant belastet die Spitäler jedoch finanziell, weil die Behandlung tariflich weniger lukrativ ist. Das ist eine Hürde, die die Politik breit abgestützt zu überwinden gedenkt mit EFAS, der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Noch ist die Politik nicht so weit. Umso wichtiger ist die Frage, wie sinnvoll es ist, dass Spitäler in der heutigen Zeit in neues Gebäudevolumen investieren.
Experte: Es fehlt eine übergeordnete Investitionsplanung
Einer, der das Immobiliengeschäft im Spitalsektor schon lange begleitet, ist der Immobilienexperte Christian Elsener, der dazu auch schon verschiedene Studien für das Beratungsunternehmen PwC verfasst hat. «Ein Überangebot ist immer noch das grösste Risiko zusammen mit zu hohen Kosten pro Produktionseinheit», sagt er und ergänzt: Er habe immer davor gewarnt, dass die Spitäler im Hinblick auf die «Ambulantisierung» eine zu grosse Bettenkapazität aufbauten. Am Ende bestehe in der Tat das Risiko eines Überangebots an stationär ausgerichteten Produktionsflächen und damit eine ungenügende Auslastung der Spitäler. Allerdings agieren gemäss Christian Elsener die meisten Spitäler heute in ihrer Investitionstätigkeit deutlich vorsichtiger als noch 2015, und sie legen viel Gewicht in die Tragbarkeit ihrer Investitionen.
Die Kompetenz zur Spitalplanung obliegt den Kantonen. Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) regelt, dass die Kantone im Rahmen dieser Planung die Zulassung für die Durchführung von Leistungen zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) steuern und dabei die Planungskriterien gemäss der Krankenversicherungsverordnung (KVV, Artikel 58a bis Artikel 58e) berücksichtigen. Klar ist, dass sie ihre Standortvorteile ausspielen wollen. Schliesslich geht es um viel: Ein attraktives Spital in der Umgebung ist ein mächtiger Standortvorteil für jeden Kanton. Dabei nehmen Kantone mitunter sogar in Kauf, ihre Spitäler mehr oder weniger verdeckt zu subventionieren.
Kantone helfen kräftig mit
Die Kantone greifen ihren Spitälern nach wie vor gerne unter die Arme. Im Jahr 2019 zahlten die Kantone Schweizer Spitälern insgesamt 2’583 Millionen Franken. Das sind 365 Millionen Franken mehr als noch 2013.
Die Zeche bezahlen die Krankenversicherten, die sich beispielsweise 2019 mit durchschnittlich 1’051 Franken an den stationären Spitalkosten beteiligen. Und die Spitalkosten nehmen weiter zu. Mittlerweilen machen sie mit 37 Prozent den grössten Kostenblock im Gesundheitswesen aus. Entsprechend wird der Druck hin zur ambulanten Behandlung weiter ansteigen.
Die positive Entwicklung dieses Trends: Strategische Überlegungen spielen eine immer wichtigere Rolle. Spitäler müssen fokussierter an Kunden denken. Betriebsabläufe werden optimiert, Doppelspurigkeiten ausgemerzt. Einige Kantone stellen Überlegungen an, sich zu Spitalregionen zusammenzuschliessen. Fünf Ostschweizer Kantone haben im 2020 angekündigt, die Spitalversorgung künftig gemeinsam anzugehen. In Zürich erteilt die Gesundheitsdirektion drei kleineren Spitälern nur noch einen befristeten Leistungsauftrag. In der Zentralschweiz haben die Spitallandschaften Luzern und Nidwalden fusioniert.
Zängerle: «Positives Zeichen gesetzt»
«Selbstverständlich stecken die Krankenversicherer in diesem Themenkomplex mit drin», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura, der früher Spitalrat und Präsident eines Spitals war. Das Ziel der Versicherer: Dem Patienten nach den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit die bestmögliche Behandlung zu garantieren. Das übergeordnete Ziel: Dass sich noch mehr Kantone zu Spitalregionen zusammenschliessen und nicht jedes Spital jede Behandlung anbietet. Damit kannibalisiere man sich nur gegenseitig. «Insofern hat das Parlament ein positives Zeichen gesetzt, dass es den Versicherern in diesem Bereich mehr Kompetenzen verleihen will», sagt Zängerle. «Nun geht es darum, das Ergebnis aus beiden Räten über die Ziellinie der Schlussabstimmung zu bringen. Schliesslich reden wir hier auch von Prämiengeldern, die am richtigen Ort eingesetzt werden sollen.»