Die Schweiz ein «sieches Haus»? Wir haben zwei Hebel. Den einen haben wir in Bewegung gesetzt. Für den anderen brauchts jetzt den Entscheid!

Bern/ , 27. Mai 2024

Wer ewig über Wichtiges spricht, ohne es in die Tat umzusetzen, macht aus dem Gesagten ein Luftschloss. Oder einen Koloss, der besser nicht angefasst werden sollte. Wer hingegen die Herausforderung anpackt, das Projekt in kleine Stücke teilt, reisst das Luftschloss nieder. Aus dem Koloss wird ein «Klösschen».

Sie wissen, wovon ich rede? Vom ambulanten Arzttarif. Seit 10 Jahren will man den Tarmed ersetzen. Und dennoch ist er immer noch da. Wie ein Ball, den man unter Wasser drückt, weil er lästig ist, und aufpoppt, sobald man von ihm ablässt. Ich bin überzeugt: Hätte Bundesrat Alain Berset (2012 – 2023) seine Chance gepackt und den ambulanten Einzelleistungstarif TARDOC im Juni 2022 gutgeheissen, stünden wir heute an einem anderen Punkt. Wir hätten nicht nur einen neuen Arzttarif mit einer Kostenneutralität und Einsparungen von 600 Millionen Franken jährlich. Wir hätten auch schon erste Pauschalen. Weil der Druck so hoch gewesen wäre, Einzelleistungen, wo geeignet, durch Pauschalen abzulösen – sobald vorliegend und genehmigungsreif. So aber treten wir an Ort und Stelle. Und reden immer noch davon, wie nötig ein neuer ambulanter Arzttarif wäre.

20-Jahr-Jubiläum
Vor genau zwanzig Jahren ist die Schweiz mit dem Tarmed gestartet. Heute werden darüber Leistungen für 13 Milliarden Franken abgerechnet. Tarmed, der ewig-gestrige Tarif? Der schon kurz nach der Einführung für Bauchweh und dicke Berichte der Eidgenössischen Finanzkontrolle sorgte?

Jeder der seit Einführung des Tarifs zuständigen Bundesräte ist auf irgendeine Art von diesem Tarifwerk herausgefordert worden. An Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider – und am jetzigen Bundesrat – liegt es nun aber, tatsächlich das Nachfolgeprodukt zu wählen. In diesem Punkt unterscheidet sich ihr Start massiv von jenem ihrer Vorgänger. Sie ist in der komfortablen Lage, gleich zwei Tarifgesuche auf dem Pult zu haben. Den Einzelleistungstarif TARDOC und ambulante Pauschalen.

Kostensenkung und Aufwertung der Hausärzte
Die neue Bundesrätin hat also die einmalige Chance, den Tarmed endlich abzulösen. Sie senkt damit Kosten. Denn wenn der TARDOC kommt, werden jene Facharztgruppen aufgewertet, die als Grund- und integrierte Versorger viel zur Kostendämpfung beitragen: Die Haus-, Kinder- und Psychiatrieärzte. Es braucht nicht einmal Mut, bei diesem leidigen Thema endlich für Entspannung zu sorgen, sondern es reicht der feste Wille, Veränderung zum Guten tatsächlich zu bewirken.

Dass es Veränderung zum Besseren braucht, ist unbestritten. Unser Gesundheitssystem, ein «sieches Haus», schrieb jüngst ein Journalist für die deutsche «Zeit». Wo man hinhört und hinschaut, geht es um die Kosten. Um zu hohe Medikamentenpreise. Und um hohe Prämien. Um zu viel Leistungsbezug durch uns alle. Um Spitäler, die trotz der vielen Leistungen Schwierigkeiten haben, schwarze Zahlen zu schreiben. Als wäre das nicht schon genug – oder gerade deswegen! – kommen noch zwei Gesundheitsinitiativen zur Abstimmung, die beide nur Symptome bekämpfen.

Dabei haben wir zwei gewichtige Instrumente in der Hand, die unser System nachhaltig zum Positiven beeinflussen können. a) Die einheitliche Finanzierung EFAS. Und b) die Erneuerung des Arzttarifs. Bei EFAS hat das Parlament die positive Wirkung erkannt und sich im Dezember 2023 zu einem überzeugenden Ja durchgerungen. Dass nun die Bevölkerung auch noch zum Handkuss kommt und darüber abstimmen muss, ist ein schwer verständliches Bremsmanöver, das leider unnötig Ressourcen bindet. b) Beim ambulanten Arzttarif hat Bundesrätin Baume-Schneider nun «Figge und Mühle», um es in der Sprache des bekannten Brettspiels auszudrücken. Sie kann zwischen verschiedenen Varianten auswählen. Sie hat einen fertigen Einzelleistungstarif TARDOC, der von allen vier! Tarifpartnern, also FMH, curafutura, H+ und santésuisse gutgeheissen wurde. Ein Tarifwerk, das mit Garantie alle Kriterien erfüllt, die der Bundesrat im Juni 2022 gestellt hat. Und sie hat ambulante Patientenpauschalen, die das Parlament nebst nötigen Einzelleistungen unbedingt will. Sie kann also den TARDOC bewilligen und per 1. Januar 2025 einführen. Sie kann den TARDOC zusammen mit Pauschalen genehmigen. Oder sie kann alles verschieben.

Verschiebt sie den Entscheid auf später und kommt sie mit neuen Auflagen, so wäre es für den TARDOC ein weiteres Hinauszögern. Es können sich alle selbst ausmalen, dass das zurück auf die grüne Wiese führen würde. Mit dem Ergebnis, dass wir weitere Jahre mit dem hoffnungslos veralteten Tarmed leben werden und vermutlich in zehn Jahren wieder da stünden, wo wir heute stehen. Wohl mit neuen Diskussionen, neuem Zögern. Denn es ist per se komplex, ein Tarifwerk dieser Grössenordnung zu erstellen.

Lassen wir uns nicht täuschen: Bei der Genehmigung des TARDOC geht es längst nicht mehr um Kritik wegen ungenügender Sachgerechtigkeit oder Zweifel an seiner Kostenneutralität, sondern darum, dass wir zuwarten wegen der Pauschalen. Oder anders gesagt: Es geht um Mut, das Luftschloss niederzureissen. Es wäre uns allen gedient, wenn der Bundesrat ein Machtwort spricht. santésuisse-Präsident Martin Landolt hat es klar benannt: Wir brauchen jetzt einen Entscheid, der weiterführt!