Föderalismus bei der Zulassungs-Beschränkung für Ärztinnen und Ärzte – diese Regulierung gehört auf den Prüfstein!

Bern/ , 6. März 2024

Seit dem 1. Juli 2023 müssen die Kantone die Zulassung von Ärzten und Ärztinnen nach den revidierten Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) beschränken. Jetzt zeigt sich: Die Kantone packen das Thema ganz unterschiedlich an – der Kanton Genf ganz anders als der Kanton Graubünden.

Gemäss Artikel 55a KVG muss ein Kanton in mindestens einem medizinischen Fachgebiet oder in einer bestimmten Region das Angebot an Ärztinnen und Ärzten im ambulanten Bereich auf eine Höchstzahl beschränken. Der Bundesrat gibt die Kriterien und die methodischen Grundsätze für die Festlegung der Höchstzahlen vor und berechnet anhand eines Regressionsmodells den Bedarf an medizinischen Leistungen. Dieses Modell berücksichtigt Faktoren wie Demografie und Morbidität, passt den Bedarf den interkantonalen/-regionalen Patientenströmen an und berechnet die Versorgungsgrade pro Fachgebiet. Danach setzt der Kanton das bestehende Angebot an Ärzten und Ärztinnen (Vollzeitäquivalente) ins Verhältnis zum Versorgungsgrad, berücksichtigt spezifische kantonale Faktoren, die nicht bereits im nationalen Modell enthalten sind und leitet daraus ab, ob in einem bestimmten medizinischen Fachgebiet in seinem Kantonsgebiet die Höchstzahl erreicht ist. Solange dies der Fall ist, erteilt er keine Neuzulassungen für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP).

Das nationale Parlament hatte intensiv darüber debattiert, wie verpflichtend die bundesrechtliche Vorgabe für die Kantone sein soll. Wie so oft war das Resultat ein Kompromiss: Die Kantone müssen die Zulassungen von Ärztinnen und Ärzten beschränken, jedoch nicht flächendeckend. Der Gesetzestext hält fest: in einem oder mehreren medizinischen Fachgebieten oder in bestimmten Regionen. Der Gesetzgeber überträgt damit den Kantonen die Hoheit und gewährt einen grossen Handlungsspielraum.

Wie die folgende Übersicht zeigt, nutzen die Kantone diesen Spielraum. Die neue Regelung wird ganz unterschiedlich umgesetzt. Kantone wie Genf und Jura gehen relativ weit und haben fast überall Höchstzahlen eingeführt. Mehrere Kantone hielten sich hingegen an das gesetzliche Minimum und legten lediglich Höchstzahlen in ein bis zwei medizinischen Fachgebieten fest. Vereinzelt gibt es auch Kantone wie Graubünden, welche den Einführungszeitpunkt verstreichen liessen und sich aktuell in einem rechtlichen Graubereich befinden.

Zulassungen: Anzahl der medizinischen Fachgebiete mit Beschränkung (Höchstzahl)

Stand Februar 2024

Aufgrund mangelhafter Daten haben acht Kantone Höchstzahlen auf der Basis einer Übergangsbestimmung festgelegt, wonach längstens bis zum 30. Juni 2025 das bestehende Angebot an Ärzten und Ärztinnen als bedarfsgerecht und wirtschaftlich erachtet werden kann. In diesen, jedoch auch in anderen Kantonen, ist davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren die Höchstzahlen angepasst werden.

Die Kantone Zürich, Basel-Stadt und Basel-Landschaft haben den Prozess zur Festlegung von Höchstzahlen gestoppt, weil sie zuerst eine kantonale gesetzliche Grundlage einführen wollen. Dies aufgrund eines Urteils des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, welches die entsprechende Zulassungsverordnung wegen einer fehlenden kantonalen Gesetzesgrundlage aufgehoben hat. Die Kantone Graubünden und Solothurn haben indes eine rechtliche Grundlage in Kraft gesetzt, aber noch keine Verordnung mit Höchstzahlen verabschiedet.

Der Kanton Bern hat Höchstzahlen nicht auf dem gesamten Kantonsgebiet, sondern in bestimmten Regionen beschlossen. Was in grossen Kantonen durchaus Sinn macht, darf in kleinen Kantonen wie Appenzell Innerrhoden hinterfragt werden. Dieser Kanton hat im Bezirk Schlatt-Haslen (Einwohnerzahl rund 1’100 Personen) die seltene Fachrichtung der Handchirurgie auf eine Höchstzahl von 0 begrenzt.

Von den eingeschränkten medizinischen Fachgebieten sticht die Radiologie heraus. Bisher haben 10 Kantone die Anzahl Ärzte und Ärztinnen in diesem Fachgebiet begrenzt. An zweiter Stelle folgt die Orthopädische Chirurgie und Traumatologie (7 Kantone), danach die Chirurgie sowie die Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie (je 6 Kantone).

Die Internetseite zulassungstopp.ch bietet eine gute Übersicht über alle medizinischen Fachgebiete, deren Anzahl Ärztinnen und Ärzte in den einzelnen Kantonen beschränkt wurde.

Fazit und Ausblick

Die Kantone müssen seit dem 1. Juli 2023 die Zulassungsbeschränkung nach den neuen KVG-Bestimmungen umsetzen. Bis zum 30. Juni 2025 dürfen sie von der Übergangsbestimmung Gebrauch machen und das bestehende Angebot an Ärzten und Ärztinnen als bedarfsgerechte Versorgung festlegen. Aktuell befinden wir uns in einer Übergangsphase und es ist noch zu früh, um ein abschliessendes Fazit zu ziehen. Es lässt sich aber bereits feststellen, dass die Kantone den Spielraum nutzen und die Bundesvorgaben unterschiedlich umsetzen.

Diese Vielfalt an Umsetzungsvarianten muss dabei nicht unbedingt schlecht sein: Nach einigen Jahren Erfahrungen wird sich möglicherweise herausstellen, welche der gewählten Varianten die effektivste ist und dem Ziel einer qualitativ guten Versorgung ohne übermässige Kostenfolgen am nächsten kommt. Und es wird sich hoffentlich zeigen, ob die neue gesetzliche Regelung eine sinnvolle Massnahme oder lediglich eine unnötige Regulierung ist. So oder so muss die Zulassungsregelung auf den Prüfstein, bevor weitere Schritte, sei es für die Mediziner, sei es für die weiteren Medizinberufe unternommen werden.