Position: Off-label use von Medikamenten

Bern/ , 10. Juni 2021

Medikamente werden durch die swissmedic zugelassen. Auf Antrag der Zulassungsinhaberin prüft das BAG mittels eines dafür vorgesehenen Verfahrens eine Aufnahme in die sogenannte Spezialitätenliste (SL). Dabei wird insbesondere der Erfüllung der Aufnahmekriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit hohes Gewicht beigemessen. Sie entscheiden über den Preis. Die in der vom BAG monatlich aktualisierten Spezialiätenliste aufgenommenen Medikamente müssen von der OKP zum aufgeführten Preis vergütet werden.

Die Art. 71a – 71d KVV («Art. 71a-d KVV») regeln die Vergütung von Arzneimitteln, die eine Ausnahmeregelung erhalten haben. Das sind Arzneimittel, die sich ausserhalb der festgelegten Vergütung gemäss Spezialitätenliste (SL) befinden, die bereits zugelassen sind, sich jedoch (noch) nicht auf der SL-Liste befinden,  oder die in der Schweiz (noch) nicht zugelassen sind. In Ausnahmefällen können solche Arzneimittel-Therapien übernommen werden, wenn die in Art. 71a-d KVV aufgeführten Kriterien erfüllt sind. Medikamentöse Therapien, die ausserhalb der regulären Vergütungspflicht (Spezialitätenliste, Art. 52 KVG) eingesetzt werden, werden als off-limitatio, off-label und unlicensed use bezeichnet (vereinfacht auch «off-label use» genannt) und unterstehen grundsätzlich keiner Vergütungspflicht.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Art. 71a-d KVV wurden nach dem Bundesgerichtsurteil zu Myozyme im Jahr 2011 erstmals eingeführt und im Jahr 2017 erstmals revidiert. Ein Monitoring zur Umsetzung des Artikels wurde zweimal durchgeführt, letztmals 2019/2020 (Evaluationen BAG). In den letzten zehn Jahren wurden den Krankenversicherern von Leistungserbringer-, Patienten- und Pharmaindustrieseite wiederholt Ungleichbehandlung und Zugangsverweigerung vorgeworfen.

Die Leistungserbringer, die ein Medikament ausserhalb der Zulassung und Kassenvergütung anwenden

möchten, können für den Einzallfall ein Kostenübernahmegesuch an die Krankenversicherung des Patienten stellen. Sind die in Art. 71a-d KVV aufgeführten Bedingungen für die Anwendung erfüllt und kann ein grosser Nutzen für den Patienten erwartet werden, kann die Krankenversicherung die Kosten übernehmen. Die Höhe der übernommenen Medikamentenkosten werden mit der Zulassungsinhaberin verhandelt. Der vergütete Preis muss unterhalb des auf der Spezialitätenliste aufgeführten Preises liegen.

Die wichtigsten Herausforderungen können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Längere Zeitdauer bei der SL-Aufnahme (Kassenpflicht) von neu zugelassenen Medikamenten (bzw. einer zusätzlichen Indikation) verlängert die Überbrückungszeit, während der Einzelfallbeurteilungen gem. Art. 71a-d KVV vorgenommen werden müssen
  • Gewisse Hersteller verzichten auf eine Marktzulassung (bzw. Indikationserweiterung) in der Schweiz, somit bleibt die Vergütung über Art. 71c die einzige Möglichkeit
  • Antrag zur SL-Aufnahme steht nur den Zulassungsinhaberinnen offen
  • Die Wahrnehmung der Patient/innen in Bezug auf neue Wirkstoffe wird durch die Erkrankung beeinflusst: Neue Medikamente werden als wirksam und als Problemlösung wahrgenommen
  • Überforderung der Versicherten, die vom KVG geforderten WZW-Kriterien, wie z.B. Ein angemessenes Kosten-Nutzen-Verhältnis nachvollziehen zu können
  • Emotionalität der Berichterstattung von Patient/innen mit unheilbaren Erkrankungen
  • Reputationsrisiko für Krankenversicherer bei Ablehnung von Kostengutsprachen
  • Laufende Zunahme der Einzelfallbeurteilungen
  • Stärkere Aufsicht über die Vergütungspraxis durch die Behörden.