Interview Felix Huber: das zweite Massnahmenpaket gefährdet die koordinierte Versorgung mit einer Flut von Vorschriften
Bern/ , 16. März 2023Die koordinierte Versorgung hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Der Pionier der medizinischen Netzwerke Felix Huber befürchtet heute jedoch, dass das zweite Massnahmenpaket des Bundesrates diesen Erfolg zunichte machen wird. Er appelliert im Interview mit curafutura an Geduld statt Reformeifer. Dann würden sich gute und effiziente Modelle von selbst durchsetzen.
Herr Huber, Sie haben sich kritisch über das zweite Massnahmenpaket des Bundesrates geäussert. Was stört Sie an diesem Entwurf?
Bundesrat Berset will im Massnahmenpaket 2 die koordinierte Versorgung stärken, indem er sie durchreguliert. Das ist ein gefährlicher und völlig unnötiger Schritt. Die koordinierte Versorgung hat sich grossartig entwickelt und wird laufend besser. Gesetzliche Regeln würden diese Innovation abwürgen. Die Situation ist geradezu grotesk: Die aktivistische Politik ist besessen von stetigen Eingriffen und Vorschriften. Alain Bersets Amtsführung führt zu einer Reformwut, die noch längst nicht ausgestanden ist – und unter der wir Ärztinnen und Ärzte und das ganze System leiden.
Woran denken Sie?
An das katastrophale Qualitätssicherungsgesetz. Oder die notdürftige Zulassungsregulierung: Diese ist kaum in Kraft und muss bereits revidiert werden.
Wo liegt die Gefahr in Bezug auf die koordinierte Versorgung?
Die Massnahmen gefährden die Weiterentwicklung der hausärztlich koordinierten Versorgung mit einer Flut von Vorschriften, die bereits im Gesetzestext vernichtend sind. Kommt dann erst noch die Verordnung aus dem BAG dazu, dann wird die Erfolgsgeschichte der alternativen Versicherungsmodelle einfach erstickt. Netzwerke müssten dann nach einem durchregulierten Raster organisiert und zusammengesetzt sein. Alles würde schwerfällig und bewilligungspflichtig. Die Kantone müssten den Netzwerken mit abermals weiteren Auflagen kantonale Leistungsaufträge geben und ihre Qualität überprüfen. Das ist ein Albtraum für die koordinierte Versorgung. Sie konnte sich nur in einem freien Umfeld bis jetzt so hervorragend entwickeln.
Politisiert der Bund an der Praxis vorbei?
Politik und Verwaltung reagieren auf unbefriedigende Zustände immer mit neuen Gesetzen und Verordnungen, die über das Ziel hinausschiessen. Alle gesundheitspolitischen Vorlagen der letzten Jahre legen davon ein trauriges Zeugnis ab. Die Verordnung zum neuen Heilmittelgesetz (VITH) erstickt mit ihren Auflagen das Aushandeln von Rabatten mit der Industrie. Das neue Qualitätsgesetz stockt wegen der realitätsfernen Auflagen in der Umsetzung und findet für die zur Verfügung stehenden Millionen kaum Projekte. Das Elektronische Patientendossier (EPD) bringt keinen Nutzen und muss den Spitäler und Leistungserbringer regelrecht reingeprügelt werden. Es wird auf der ganzen Linie scheitern. Die Zulassungsregulierung gefährdet die Versorgungssicherheit und wird zu einer Flut von juristischen Prozessen führen. Vieles wurde überstürzt eingeführt und verursacht nur Kosten und Ärger.
Zum Beispiel?
Die obligatorische Rechnungskopie an die Patienten. Sie wurde dem System ohne Realitätscheck aufgezwungen. Kein Intermediär und kein Praxisinformationssystem konnte das umsetzen. Viele ältere Patienten sind zudem verwirrt. Davon profitiert nur die Post: Sie kann Millionen von Briefen verschicken und die Leistungserbringer müssen es bezahlen.
Wie kann Gegensteuer gegeben werden?
Wir brauchen einerseits Ruhe in diesem Reformeifer und andererseits die Deblockierung wichtiger unbestrittener Reformwerke wie EFAS und TARDOC. Dafür reichen für die koordinierte Versorgung zwei minimal invasive Eingriffe: Seriös arbeitende Hausärztinnen in vertraglichen Netzwerken wollen nicht auf Listen aufgeführt werden, die dem Patienten gegenüber irreführenderweise als Hausarztmodell angepriesen werden. Sie müssen also die Möglichkeit haben, sich von den Listenmodellen streichen zu lassen (Art. 41 Abs. 4 KVG). Zudem bin ich dafür, dass das BAG mit der Prämienkontrolle bei den AVM aufhört. Versicherungen sollen ihre Prämien frei festlegen können (Art. 101 KVV).
Zweites Massahmenpaket: Die Haltung von curafutura:
curafutura lehnt die KVG-Änderungen ab, die der Bundesrat im Rahmen des zweiten Pakets zur Kostendämpfung vorschlägt. Es fehlt im Bericht des Bundesrats eine realistische Regulierungsfolgenabschätzung genauso wie eine konkrete Aussage zur Höhe der Kostenfolgen dieses Pakets. curafutura vermisst zudem eine sachlogische Unterteilung. Die primäre Zielsetzung des Pakets, nämlich die Kostendämpfung, wird verfehlt: Die vorgesehenen Anpassungen im KVG schränken einzig den Spielraum ein, den heute die Versicherten bei der Wahl ihrer Grundversicherung haben. Insbesondere verschlechtert die Vorlage die Rahmenbedingungen für eine Weiterentwicklung von neuen integrierten Versorgungsmodellen zuungunsten der Versicherten. Darüber hinaus schwächt sie die Tarifpartnerschaft und stellt einen weiteren markanten Schritt zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens dar. |