Kooperation ist einer der Grundwerte von curafutura: gute Lösungen enstehen oft aus Partnerschaften zwischen den Akteuren. In diesem Sinne lassen wir in einer Reihe von Interviews die Akteure des Gesundheitssystems zu Wort kommen.

Stefan Felder findet es irreführend, dass man in der Schweiz von einer Grundversicherung spricht: «Wir haben faktisch eine obligatorische Vollversicherung». Der Gesundheitsökonom der Universität Basel pocht auf klare Regeln und die Reduktion der Leistungen in der obligatorischen Krankenversicherung.
Stefan Felder (*1960) ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Basel und Direktor des Basel Center for Health Economics. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören der Wettbewerb und die Regulierung in der Krankenversicherung sowie die Priorisierung von medizinischen Leistungen.
Wie würden Sie den Leistungskatalog der Grundversicherung charakterisieren?

Von einer Grundversicherung zu sprechen, ist eigentlich irreführend. Schaut man sich den Leistungskatalog der OKP an, dann haben wir das Gegenteil einer Grundversicherung. Es ist eine Vollversicherung für alles und alle, wie es sie sonst nirgends auf der Welt gibt. Sie wurde 1994 vom Volk beschlossen und seither wächst ihr Deckungsumfang mit dem technischen Fortschritt in der Medizin und den steigenden Bedürfnissen der Versicherten. 97, 98 Prozent von dem, was medizinisch möglich ist, deckt die Grundversicherung ab.

Müsste man den Katalog einschränken?

Eine Begrenzung des Leistungskatalogs ist dringlich – aber davon will niemand etwas hören. Die Leistungserbringer sind heute frei, Neues auszuprobieren, ohne dass es dafür in der Regel eine Kostengutsprache braucht. Auf diese Weise entwickelt sich der Leistungskatalog dynamisch. Das Wachstum kommt weniger von der Preis- als von der Mengenentwicklung her.

Welche Rolle spielen die Zusatzversicherungen?

Der Bereich der Zusatzversicherung ist wenig dynamisch; er wird von der OKP ausgehungert, die laufend alles Neue aufnimmt. Der Anteil der Privatversicherung an der Finanzierung der Gesundheitsausgaben beträgt gerade noch 6.5 Prozent – Tendenz weiter sinkend. Der Zugang zum Chefarzt und einem Einbettzimmer im Spital bedeutet keine bessere medizinische Versorgung – man zahlt in der Zusatzversicherung vor allem für den höheren Komfort. Diese Entwicklung ist absurd. Es müsste doch umgekehrt sein: je reicher eine Gesellschaft, desto höher der Anteil der privaten Krankenversicherung an den Gesamtkosten der Gesundheitsversorgung.

Wir debattieren jeden Herbst über die steigenden Krankenkassenprämien. Den Rest des Jahres drängen viele Akteure, Politiker und Medien auf die Aufnahme neuer Leistungen in den Katalog der OKP.

Wer weiss schon, dass die Prämien unter Berücksichtigung der individuellen Prämienverbilligung nur rund 30 Prozent der Gesundheitsausgaben finanzieren? Politik und Verwaltung verteilen Wohltaten, Versicherer sind in ihren Möglichkeiten beschränkt und die Versicherten sind versichert. Die vielen «Kässeli» verwischen die Verantwortlichkeiten.

Das tönt resigniert.

Es ist realistisch. Wenn wir nach vorne schauen, dann wird das so weitergehen. Jedes Jahr kommen drei, vier Prozent zusätzliche Ausgaben hinzu. Das Grundproblem im Gesundheitswesen ist, dass die staatliche Verantwortung nicht geregelt ist. Wo hört die Verantwortung des Staates auf? Haben alle Anrecht auf eine «Präsidenten-Medizin», wie sie dem US-Präsidenten zukommt? Natürlich nicht: Es muss eine Grenze geben, an der die Verantwortlichkeit des Staates aufhört und die der Privatperson beginnt. Diese Diskussion ist unbequem und wird nicht geführt.

Der Leistungskatalog der OKP muss zurückgestutzt und ausgedünnt werden. Was dabei nicht hilft: Gärtchendenken.
Wie durchbricht man die Spirale?

Das Bundesgericht hat schon 2010 beklagt, dass die Politik die Kriterien zur Beurteilung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von medizinischen Leistungen nicht festgelegt hat. Es braucht explizite Regeln, wie der Nutzen einer Therapie gemessen, wie er mit den Kosten verglichen und was die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft dafür ist. So wie das England und skandinavische Länder schon lange machen.

Wo stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern?

Wir sind Spitze, vor allem beim Zugang zu medizinischen Leistungen. Die Dichte an niedergelassenen Ärzten, vor allem auch Spezialisten, ist sehr hoch. Anders als in den benachbarten Ländern gibt es kaum Wartezeiten für elektive Behandlungen. Aktuell gibt es einen Stau bei der Zulassung und Erstattung von teuren neuen Medikamenten. Es rächt sich, dass wir keine überzeugende gesetzliche Grundlage für die Nutzenmessung von medizinischen Leistungen haben.

Wenn Sie eine Änderung im Gesetz vornehmen dürften, welche wäre das?

Bald dreissig Jahren nach der Volksabstimmung über die OKP fehlt es an einer Ausführungsgesetzgebung zu den drei Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Dort würde ich einen Passus reinschreiben, wie er im deutschen Gesetz steht: «Die Kosten-Nutzenbewertung erfolgt auf der Grundlage der in den jeweiligen Fachkreisen anerkannten internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie.»

Die Grundlagen sind vorhanden, man muss sie bloss nutzen: Weshalb ist die Diskussion über Kosten und Nutzen von medizinischen Therapien verpönt?
Was ist Ihre Motivation, sich an der Debatte um die medizinischen Kosten zu beteiligen?

Meine Motivation liegt in einer simplen Erkenntnis: Wir können unser Gesundheitswesen besser und effizienter organisieren, ohne dass die Qualität darunter leidet. Viele Argumente in der Diskussion um die Gesundheitskosten sind Scheinargumente, um Macht und Pfründe zu sichern. Und da habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die Mediziner zu ärgern.

Weshalb?

Weil sie in der Regel die Diskussion um klare Regeln nicht führen wollen. Man muss es schon deutlich sagen: Die Uniklinik Basel macht jährlich einen Umsatz von 1,3 Milliarden Franken – und wird geführt wie ein Verbund von Königreichen. Man hat die modernsten Apparate und gleichzeitig ein Management und Prozesse, die überhaupt nicht zeitgemäss sind. Die Folge davon: Alles ist wahnsinnig teuer.

Die Entwicklung unserer Gesundheitskosten geht in die falsche Richtung. Auch im zweiten Quartal zeigt sich bis auf wenige Ausnahmen ein deutliches Wachstum. Das deutet auf einen schwierigen Prämienherbst hin.

Jede versicherte Person in der Schweiz hat von Juli 2022 bis Juni 2023 durchschnittlich 4447 Franken an Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung beansprucht. Das entspricht einer Zunahme von 4.2 % gegenüber der Vorjahresperiode (Juli 2021 bis Juni 2022). Dabei weisen die Physiotherapie (6 %), der stationäre Bereich der Spitäler (5.4%), die Spitex (5.4%), die Pflegeheime (5%) und die Apotheken bzw. der Medikamentenverbrauch (4.6%) ein überdurchschnittliches Wachstum aus.

Die Entwicklung lässt für die Prämienkommunikation vom Herbst nichts Gutes erahnen. «Vieles deutet auf einen schon lange nicht mehr dagewesenen Prämienanstieg hin», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura. Bereits im vergangenen Jahr musste der Bundesrat eine Prämienerhöhung von 6.6 % verkünden. Damit gehen die vier vorhergehenden Jahre beinahe vergessen, die mit effektiven Prämienerhöhungen von 1.0 % im Jahr 2019, 0.1 % im Jahr 2020, 0.3 % im 2021 und -0.7 % im 2022 zu einer Stabilisierung beigetragen haben.

Kosten sind nicht gedeckt
Die einzelnen Versicherer tun alles ihnen Mögliche, damit sich die Prämienerhöhung im Rahmen hält. Es ist ihr Ansporn, keine höheren Prämien zur Genehmigung eingeben zu müssen, um möglichst viele Versicherte für sich zu gewinnen bzw. ihre Kundschaft zu halten. Allerdings müssen die Prämien die Kosten decken. Und das ist momentan offenkundig nicht der Fall.

curafutura als Verband der vier Versicherer CSS, Helsana, Sanitas und KPT sieht in den grossen Reformen den grössten Hebel, um die Kosten dank Behebung von Fehlanreizen in den Griff zu bekommen: Dazu gehören der ambulante Arzttarif, die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS) und die Revision der Margen für die Apotheker zur Erhöhung der Abgabe von Generika. curafutura setzt sich aber auch für einen Tarifeingriff bei der Physiotherapie ein, «weil gewisse Tarifpositionen unfaires Abrechnen fördern», so Zängerle.

Ambulant nimmt leicht zu
Hervorzuheben in der Entwicklung sind die ambulanten Behandlungen in den Arztpraxen, die von Juli 2022 bis Juni 2023 im Vergleich zur Vorjahresperiode um 2.7 % zugenommen haben, und die spitalambulanten Behandlungen mit 2.6 %. Damit wachsen beide Kostengruppen im vom Bundesamt für Gesundheit akzeptierten Rahmen. Einzig die Labore weisen mit -9.2 % ein rückläufiges Wachstum aus. Dies ist das Resultat einer Senkung der Labortarife im Jahr 2022 um 10 % durch das Eidgenössische Departement des Innern. Grund war unter anderem, dass die Labortarife in den Arztpraxen gemäss Preisüberwacher durchschnittlich 4.5 Mal so hoch waren wie in vergleichbaren Ländern. Das zeigt, dass auch das Potential bei den administrierten Preisen (z.B. Labor, Pharma, MiGeL) laufend und wiederkehrend zur Kostendämpfung genutzt werden muss.

Dreijahresüberprüfung: curafutura erwartet eine jährliche Überprüfung ab 10 Millionen Franken Umsatz

Gemäss Berechnungen von curafutura dürfte die Dreijahresüberprüfung der Medikamente der diesjährigen Tranche 2023 Einsparungen von rund 150 Millionen Franken einbringen. Weil das Potenzial nicht ausgeschöpft ist, fordert curafutura neu: Medikamente ab einem Umsatz von 10 Millionen Franken sollen jährlich statt dreijährlich überprüft werden. So könnten allein in der diesjährigen Tranche rund 100 Millionen Franken zusätzlich eingespart werden. Davon profitieren würden in erster Linie die Prämienzahlerinnen und -zahler.

Die Dreijahresüberprüfung bringt von allen Massnahmen im Bereich der Preispolitik bei Medikamenten mit Abstand die grösste Kostendämpfung. Gemäss Berechnungen von curafutura wird die Dreijahresüberprüfung dieses Jahr weitere Einsparungen von rund 150 Millionen Franken einbringen.

Besonders grosse Einsparungen sind beim Medikament Remicade (Trockensub 100 mg Durchstf. 1 Stk) zu erwarten. Dieses gehört zur Gruppe der Immunosuppressiva. curafutura erwartet eine Preissenkung von 32 % im Jahr 2023. Das führt zu einer nachhaltigen Einsparung von 27.9 Millionen Franken pro Jahr. Aber auch beim Medikament Humira, das ebenfalls zur Gruppe der Immunosuppressiva gehört, ist das Kostendämpfungspotenzial enorm. Es beträgt 23 %, was zu Einsparungen von 26.3 Millionen Franken jährlich führt (vergleiche Tabelle).

Dennoch ist das volle Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft. Würde die Überprüfung aller von der Grundversicherung zu bezahlenden Produkte jährlich stattfinden, würde die wiederkehrende jährliche Einsparung deutlich höher ausfallen.

Ab 10 Millionen Franken Umsatz jährliche Überprüfung

Die Forderung nach einer jährlichen Überprüfung stiess bislang aufgrund des erheblichen Aufwandes auf keine offenen Ohren. Aufgrund des grossen Potenzials fordert curafutura jetzt neu, wenigsten stark nachgefragte und teure Medikamente ab einem Umsatz von 10 Millionen Franken jedes Jahr zu überprüfen. Das wären knapp 200 von insgesamt 3000 Produkten. Damit könnten nach Berechnungen von curafutura allein bei der diesjährigen Tranche 2023 ca. 100 Mio. Franken jährlich wiederkehrend eingespart werden.

Das Begehren ist in der Botschaft zur Änderung des Krankenversicherungsgesetzes betreffend Massnahmen zur Kostendämpfung – Paket 2 aufgenommen. Dieses beinhaltet eine differenzierte WZW-Prüfung nach Artikel 32 KVG. Demgemäss ist der Bundesrat befugt, festzulegen, wie und wann die periodische Überprüfung der Leistungen nach den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) erfolgen soll.

«Die Kostendämpfung ist so gross, dass wir auf diese Anpassung pochen», sagt curafutura-Direktor Pius Zängerle. Für die Prämienzahlenden sei es wichtig, dass sie einen wirtschaftlichen Preis für ihre Medikamente bezahlten, wie es im Gesetz schon längst festgelegt sei. «Der zusätzliche Effekt wird sich deutlich auszahlen.» Es gilt daher nach Ansicht von curafutura, bei diesem Thema nicht locker zu lassen. «Schliesslich sieht man sehr schön, welch grossen Effekt die Dreijahresüberprüfung auf die Medikamentenpreise hat», so Zängerle. «Entsprechend müssen wir das Potenzial besser nutzen.»

Preise von Arzneimitteln überprüfen und anpassen
Die Dreijahresüberprüfung wird jährlich in Tranchen vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) durchgeführt. Sie dient dazu, die Preise von Arzneimitteln regelmässig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Der Prozess wird durchgeführt, um sicherzustellen, dass folgende Aufnahmekriterien stets erfüllt sind: Arzneimittel müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Überprüft werden regelmässig die Medikamente, die von der obligatorischen Grundversicherung bezahlt werden. Dabei werden nicht alle Medikamente auf einmal überprüft, sondern alternierend ein Drittel der therapeutischen Gruppen. Die diesjährige Tranche beinhaltet Medikamente mit rund der Hälfte der Medikamentenausgaben in der Grundversicherung. Eine der aktuellen Herausforderungen besteht darin, dass immer wieder Medikamente nicht überprüft werden, die eigentlich an der Reihe zur Analyse wären. Es handelt sich um Produkte, die aufgrund von Ausnahmeregelungen von der systematischen Überprüfung befreit sind, da sich die Indikationen oder die Limitationen ändern. Hier fordert curafutura, dass die Regeln angepasst werden, damit alle Medikamente überprüft werden, die an der Reihe sind.  
 
curafutura nimmt jedes Jahr eine Schätzung vor zum Einsparpotenzial der aktuell zu überprüfenden Tranche von Medikamenten und liefert diese dem BAG als Grundlage.   

LINK: Gründe für Einsparungen bei den Medikamentenkosten

LINK: Einsparungen bei den Top-20 Medikamenten

curafutura nimmt zum Vorhaben des Kantons Zürich, bestimmte medizinische Fachgebiete mit Höchstzahlen zu begrenzen, Stellung. In Bezug auf die Ausnahmeregelung für Spitalambulatorien fordert curafutura klare Regeln, eine restriktive Handhabung und bei Erteilung einer Ausnahmebewilligung ein begleitendes Monitoring. Zudem hinterfragt curafutura die Auswahl der zu begrenzenden medizinischen Fachgebiete und bittet den Kanton, die Gründe für diese Auswahl transparent offenzulegen.

Das Kostenneutralitätskonzept zum TARDOC garantiert eine unterdurchschnittliche Kostenentwicklung und entlastet die Prämienzahler nachhaltig.

curafutura hat die Auswirkungen von TARDOC auf die Entwicklung der Gesundheitskosten neu analysiert. Dank einer verbindlichen Kostenobergrenze werden die Prämienzahler erheblich entlastet. Die Auswertung zeigt: Mit der dreijährigen Kostenneutralitätsphase betragen die Einsparungen 600 Millionen Franken – jährlich wiederkehrend. TARDOC kann also gerade jetzt einen wichtigen Beitrag zur Kostendämpfung leisten. Dies ist nach dem markanten Anstieg der Prämien 2023 und angesichts der aktuellen starken Kostenentwicklung umso nötiger.

Der neue ambulante Arzttarif TARDOC leistet einen bedeutenden Beitrag zur Kostendämpfung. Das Kostenneutralitätskonzept (Link) ist ein integraler Bestandteil des neuen Arzttarifs TARDOC. Es wurde vertraglich zwischen den Tarifpartnern vereinbart und ermöglicht die Kostenkontrolle nach Inkrafttreten des Tarifs, der den TARMED ersetzen soll. Kernstück des Konzepts ist die Festlegung eines verbindlichen Korridors für die Kostenentwicklung im Vergleich zum Jahr vor der Umstellung. Die untere Grenze des Korridors liegt bei -1% pro Jahr (Kostensenkung) und die obere Grenze bei +2% pro Jahr (Kostensteigerung). Darin sind alle über den TARDOC abgerechneten Leistungen enthalten.

Das heisst, wenn sich die Kosten ausserhalb dieses Korridors bewegen, werden Tarifkorrektur- und Ausgleichsmechanismen ausgelöst, um die Kosten wieder in den Korridor zurückzuführen. Wenn sich die Kosten hingegen innerhalb des Korridors bewegen (zwischen -1% und +2%), ist keine Korrektur erforderlich.

Einsparpotenzial von mindestens 187 Millionen Franken in einem Jahr

Zur Veranschaulichung präsentiert heute curafutura eine Analyse, die auf den letzten Daten zur Kostenentwicklung im Jahr 2022 basiert. Diese Auswertung zeigt, wie sich die Kosten entwickelt hätten, wenn der neue Arzttarif TARDOC bereits in Kraft wäre und somit das Konzeptkostenneutralität bereits umgesetzt würde.

Die ambulanten Kosten sind im Jahr 2022 um 3,5% gestiegen (Link). Da diese Kostenentwicklung ausserhalb des Kostenneutralitätskorridors liegt (zu hoch), wären mit dem TARDOC Tarifkorrektur- und Ausgleichsmassnahmen ausgelöst worden, um wieder unter die obere Schranke von +2% zu gelangen. Auf diese Weise hätte man 1,5% Prozentpunkte eingespart, was 187 Millionen Franken Einsparungen in einem einzigen Jahr entspricht.

Jährlich wiederkehrende Einsparungen von 600 Millionen nach drei Jahren

Das Kostenneutralitätskonzept greift nicht nur für ein Jahr: Die Phase der Kostenneutralität dauert mindestens drei Jahren nach Inkrafttreten des Tarifs. Der Bundesrat kann zudem beschliessen, diese Phase zu verlängern, wenn die von ihm aufgestellten Auflagen noch nicht erfüllt sind. Darüber hinaus ist ein langfristiges Monitoring vereinbart. Wenn man also die Auswirkungen von TARDOC auf die Entwicklung der Gesundheitskosten berechnet, muss man sich an der minimalen Dauer der Kostenneutralitätsphase orientieren, sprich drei Jahren.

Nach der dreijährigen Kostenneutralitätsphase resultieren jährlich wiederkehrende Einsparungen von 600 Millionen Franken, wenn das Wachstum im ambulanten Bereich in diesen drei Jahren bei 3.5% liegt. Diese Annahme ist bescheiden, hat doch das Volumen im ambulanten Bereich in «normalen» Jahren (ausgenommen z.B. Covid-Jahre) zum Teil deutlich über 4% zugenommen. Wenn das auch in den kommenden Jahren der Fall wäre, würden die Einsparungen noch höher als 600 Millionen Franken ausfallen.

Der TARDOC wird eine zentrale Rolle als Stabilisator der OKP-Kosten spielen

Mit seinem Kostenneutralitätskonzept bringt der TARDOC also im ambulanten Bereich – nebst dem Hauptziel der überfälligen Revision des Arzttarifs – eine Vorhersehbarkeit und eine beträchtliche Dämpfung der Kosten für mehrere Jahre. «Dies ist nach der Prämienerhöhung 2023 und angesichts der aktuellen Kostenentwicklung eine geradezu wohltuende Botschaft», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura.

Der TARDOC hat damit eine dämpfende Rolle für die Gesamtkosten der Grundversicherung (OKP). Tatsächlich ist der hoffnungslos veraltete Arzttarif TARMED der bei weitem grösste Tarif in der OKP: Auf ihn entfällt ein Drittel der OKP-Ausgaben, nämlich ca. 13 Milliarden Franken jährlich. Eine Kostendämpfung mit einem medizinisch und ökonomisch aktuellen Tarifwerk hat also einen erheblichen Einfluss auf die OKP-Gesamtkosten und damit die Prämien aller Versicherten.

Kostenneutralität: Die Anforderungen müssen für alle gleich sein

curafutura erwartet mit Interesse das Kostenneutralitätskonzept für die ambulanten Pauschalen. In diesem Zusammenhang wird es wichtig sein, dass der Bundesrat an beide Vorlagen die gleichen Anforderungen stellt und diese mit dem gleichen Massstab beurteilt. So kann man vermeiden, dass auf der einen Seite eingespart und auf der anderen Seite zu viele finanzielle Mittel ausgegeben werden. Alle Unterlagen der zukünftigen Arzttarife müssen bis zum 30. Juni 2023 der Organisation für ambulante Arzttarife (OAAT) übermittelt werden.

Funktionsweise des Kostenneutralitätskonzepts

Die Forderung nach Kostenneutralität ergibt sich aus Art. 59c Abs. 1 Bst. c der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV): „Ein Wechsel des Tarifmodells darf keine Mehrkosten verursachen.“ Ziel dieser Bestimmung ist, dass der Wechsel vom bisherigen Tarif zum neuen Tarif nicht zu einem künstlichen Kostenanstieg führt, der allein auf den Tarifwechsel zurückzu-führen ist.
curafutura veröffentlicht das Kostenneutralitätskonzept des TARDOC, um Transparenz in dieser Debatte zu schaffen (Link). Das Konzept basiert auf folgenden ökonomischen und technischen Grundlagen:

1) Die Kombination von Preis- und Mengeneffekten wird umfassend berücksichtigt.
2) Die Kostenentwicklung wird über einen definierten Zeitraum beobachtet.
3) Mehr- und Minderkosten, die in anderen Tarifen entstehen, werden berücksichtigt.
4) Exogene Schocks, politische Eingriffe oder Struktur- und Preisänderungen in anderen Tarifen dürfen nicht dem Tarifmodellwechsel angelastet werden.

Im April 2013 haben sich die vier Versicherer CSS, Helsana, Sanitas und KPT entschieden, fortan ihren eigenen Weg zu gehen. Das war die Stunde von curafutura. Mittlerweile sind 10 Jahre vergangen. Und curafutura feiert das Jubiläum, begleitet von der Präsidiumsübergabe des Urner Ständerats Josef Dittli an Konrad Graber. 

Pius Zängerle, Direktor

Der Luzerner Konrad Graber dürfte vielen bekannt sein. Er war von 2007 bis 2019 Ständerat des Kantons Luzern und hier unter anderem in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit auch als Präsident tätig. Er war aber auch bis im April 2023 Verwaltungsratspräsident von Emmi und in früheren Jahren im Verwaltungsrat der CSS.

Wenn wir zurückschauen und an die Anfangszeit denken, so kommen wir nicht am ersten Präsidenten von curafutura vorbei, dem heutigen Bundesrats Ignazio Cassis. Er sagte 2014 gegenüber den Medien zur Gründung von curafutura: «Mit mehr als 40 Prozent der Versicherten sind wir gross genug, um das Gesundheitswesen beeinflussen zu können. (…).» Die Leistungserbringer dürften sich ob der Präsenz von curafutura freuen, da sie mit einem Partner verhandelten, der offen spreche und Vorschläge nicht im Vornherein ablehne. Es gebe Grund zur Hoffnung, weil die Zielsetzungen mit vielen Leistungserbringern identisch seien.

Heute, 10 Jahre später, schauen wir in der Tat mit Stolz auf unsere Positionierung im Gesundheitswesen und auf das Geleistete. Nach zehn Jahren harter Arbeit sind unsere Reformziele in Reichweite.

Ein Überblick

curafutura hat sich stark vernetzt
Wir haben uns in den vergangenen Jahren aber auch national stark vernetzt. Heute sind wir auf dem Polit-Parkett ein gefragter Partner und in allen entscheidenden nationalen Gremien für Tarife und Daten eine etablierte Grösse in der Gesundheitspolitik. Aktuell erhalten wir viel Lob von anderen Verbänden für die konstruktive Zusammenarbeit. Das freut mich.

In meiner über 8-jährigen Tätigkeit bei curafutura bin ich oft gefragt worden, warum es zwei Verbände braucht. Das führt automatisch zur Rechtfertigung. Muss es aber nicht, sondern kann völlig werteneutral positiv kommentiert werden. Erstens: Weil nicht alle Versicherer die gleiche DNA haben, was Auswahl bietet. Zweitens: Weil zwei Verbände den Wettbewerb ankurbeln und sich im besten Fall in der strategischen Ausrichtung ergänzen. Und das wiederum, womit wir bei drittens sind, führt zwangsläufig dazu, dass Reformen gelingen können, wenn man sie zulässt, weil die Notwendigkeit besteht, endlich aus der Blockade heraus- und voranzukommen. 

Wo stünden wir heute ohne curafutura?
Meine wichtigste Antwort aber gegenüber meinen Gesprächspartnern ist jeweils eine Gegenfrage: Wo stünden wir heute ohne curafutura? Wo wären der neue Arzttarif, die einheitliche Finanzierung EFAS und die Margenrevision? Wo wären wir bei den Psychologischen Psychotherapien, wo wir innert kürzester Zeit eine Tarifstruktur entwickelt haben, die jetzt zur Anwendung kommt. Gäbe es eine Plattform mit Studienratings für KVV Art. 71a – 71d im Bereich Off-Label-Use für die Beurteilung im Einzelfall bei Medikamenten, die nicht auf der Liste der von der Grundversicherung zu zahlenden Medikamente ist?

Schulterzucken und Schweigen: Weil ich recht habe?
Ich erhalte auf meine Fragen meist ein Schulterzucken? Schweigen, weil ich recht habe? Oder Schweigen, weil die Antwort schwierig ist. Schliesslich wissen wir nicht, wo wir ohne curafutura stünden.

Unser neuer Präsident Konrad Graber, ein äusserst erfahrener Politiker und bekannt als Brückenbauer, sagte gegenüber Medien auf die Frage, was sein Ziel mit curafutura anbelange: Er wolle die starke Position von curafutura als wichtiger Akteur weiter auszubauen. Er werde sich dafür einsetzen, die Effizienz des Gesundheitssystems zu verbessern um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen hoher Qualität der Leistungen und einer angemessenen Kostenentwicklung zu wahren. 

Dem, liebe Leser, gibt es nicht viel hinzuzufügen. Es ist Zeit, Ihnen nach 10 Jahren intensivster Verbandsarbeit für Ihr Vertrauen in curafutura zu danken. Und anzustossen auf eine weiterhin kooperative, transparente und zukunftsgerichtete Zusammenarbeit für ein modernes Gesundheitssystem. 

Konrad Graber, neuer Präsident ab 1. Juni 2023

Gleicher Massstab für Einzelleistungstarif und Pauschalen?

Es ist nur ein kurzer Satz in der Verordnung über die Krankenversicherung; gerade einmal acht Wörter (Art. 59c Abs. 1 Bst. c KVV), die eine – von mehreren – Bedingungen bei der Revision eines Tarifs beschreiben. Und doch ist die Kostenneutralität zu der am heftigsten diskutierten Fragen bei der Revision des Arzttarifs TARMED geworden. Dabei geht fast vergessen, dass das eigentliche Ziel der Revision des Ärztetarifs ein ganz anderes ist… curafutura hinterfragt diese Fokussierung nicht, aber es muss sichergestellt sein, dass für alle Projekte derselbe Massstab angewandt wird.
Die Genehmigungsbehörde wird bei der Überprüfung der neuen Tarife auch die Kostenneutralität beurteilen.

Wie ist es dazu gekommen? Zum grössten Teil aufgrund des politischen Drucks. Aus Sorge über die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen haben der Bundesrat und das EDI, aber auch das Parlament die Kostenneutralität zum Alpha und Omega dieser Tarifrevision gemacht.

Diese Fokussierung ist nachvollziehbar.
Einerseits ist der TARMED mit einem jährlichen Leistungsvolumen von 12 Milliarden Franken und damit einem Drittel der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung OKP nebst dem Spitaltarif (stationär) der bei weitem grösste Tarif im Gesundheitssystem. Da es sich damit um einen «systemrelevanten» Tarif handelt, möchte man bei einer Änderung solide Garantien haben; viele sorgen sich, mit dem Schritt einer Revision den Zauberlehrling zu spielen.

Andererseits gibt es eine Akzentuierung auf das Thema. Während derzeit verschiedene Ideen im Umlauf sind, die sich mit Kostenplanung befassen (Kostensteuerung und Kostenziele; Kostenbremse-Initiative), werden deren Befürworter natürlich von der Aussicht auf eine kostenneutrale Einführungsphase des neuen Arzttarifs verführt. Die Kostenneutralität bringt nämlich per Definition eine gewisse Vorhersehbarkeit der Kostenentwicklung mit sich, die eigentlich von Volatilität geprägt ist. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit zeigt sich auch in den Forderungen des Bundesrates, der die Tarifpartner FMH, curafutura und SWICA aufgefordert hat, den Korridor des TARDOC-Kostenneutralitätskonzepts enger zu fassen. Das haben wir gemacht. Die Obergrenze des Korridors für die Kostenentwicklung wurde von ursprünglich +3 % pro Jahr auf +2 % gesenkt.

Kostenneutralität muss überall mit dem gleichen Massstab beurteilt werden
Die Hartnäckigkeit – manche würden sagen Strenge – des Bundesrates in der Frage der Kostenneutralität des TARDOC findet sich auch in den Forderungen an die ambulanten Pauschalen wieder.

In diesem Sinne begrüssen wir die Erklärungen des EDI und des BAG, wonach das Kriterium der Kostenneutralität für alle gleichermassen gilt. Das Wiederholen dieser Forderung mag Aussenstehenden unnötig erscheinen, ist aber angesichts der jüngsten Erklärungen von H+ vermutlich nicht überflüssig. Der Dachverband der Spitäler äusserte sich in einem Newsletter etwas gar leichtfertig, liess aber tief blicken: „Wenn beide Tarifstrukturen gleichzeitig eingereicht und genehmigt werden, entfällt die Phase der dynamischen Kostenneutralität.“ Dies ist natürlich nicht der Fall. Sowohl der TARDOC als auch ambulante Pauschalen müssen eine statische und eine dynamische Kostenneutralität gewährleisten. Beim TARDOC wird diese Phase mindestens drei Jahre dauern.

Finden die Spitäler den Mittelweg?
Wir erwarten daher mit Interesse die Vorlage des endgültigen Konzepts der Kostenneutralität für die ambulanten Pauschalen. Die Spitäler werden sich auf ein verbindliches Konzept einigen müssen, das weit hinter ihren Forderungen nach einer allgemeinen Tariferhöhung von 5% zurückbleibt. Hinzu kommt die Erwartung der Universitätsspitäler, dass die Lösung ihrer Probleme in einer deutlichen Erhöhung des Tarifs, also nicht in einer Steigerung der Effizienz zu finden ist.

Bald werden wir mehr wissen. Denn die im Rahmen der Organisation Ambulante Arzttarife (OAAT) festgelegte Frist für die Abgabe von TARDOC und der ambulanten Pauschalen, der 30. Juni 2023, naht. Das ist eine gute Nachricht. Jeder Schritt in Richtung Revision des Arzttarifs kann nicht schnell genug kommen.

Das realisieren wir immer wieder dann, wenn wir mit Haus- und Kinderärzten reden, von nicht sachgerechten Tarifen in der Grundversorgung hören. Oder wenn wir uns mit Psychiatern austauschen. Oder wenn man über Unter- und Übertarifierung spricht und die gravierenden Auswirkungen veralteter Tarife auf die Versorgung bzw. die daraus entstandene Fehlversorgung sieht.

Die Gesundheitsversorgung der Schweiz soll nicht um neue Netzwerke zur koordinierten Versorgung ergänzt werden. Stattdessen will man die bestehenden, heute bereits erfolgreichen alternativen Versicherungsmodelle aufwerten. curafutura begrüsst diesen umsichtigen Entscheid, für den sich der Verband vehement eingesetzt hat. Auch bei den Eckwerten zur einheitlichen Finanzierung EFAS scheint sich die nationalrätliche Gesundheitskommission (SGK-N) der Tragweite der Beschlüsse bewusst und sucht nach möglichst langfristigen, tragfähigen Lösungen. Die Stossrichtung geht in die richtige Richtung, wenngleich curafutura die Rechnungskontrolle klar bei den Versicherern sieht und für die schlankste aller Lösungen plädiert.

Gutes Belassen, Neues nur dort einführen, wo es wirklich sinnvoll ist und richtungsweisende Entscheide zwar festlegen, aber noch einmal darüber schlafen. So könnte man die Entscheide der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) zum Kostendämpfungspaket 2 und zur einheitlichen Finanzierung EFAS interpretieren. curafutura wertet es positiv, dass die Integration der Pflege in die einheitliche Finanzierung EFAS an Bedingungen geknüpft werden soll. Denn ohne Kostentransparenz ist die Integration der Pflege eine Blackbox. Mit Transparenz über die OKP-pflichtigen Kosten kann die Pflege gewinnbringend für das System integriert werden.

Auch bei der Rechnungskontrolle gehen die Entscheide in die richtige Richtung. So erachtet es curafutura als zentral, dass die Rechnungskontrolle Hoheitsgebiet der Versicherer und ihr Kerngebiet bleibt. Der jetzige Vorschlag will den Kantonen zwar Zugang zu den Daten des Spitalbereichs gewährleisten, jedoch soll klar verhindert werden, dass es auf dem Buckel der Patientinnen und Patienten zu Blockaden aufgrund der Verweigerung der Kostenübernahme kommt.

Dass die SGK-N ihren Entscheid noch einmal in aller Ruhe überdenken und erst an einer nächsten Sitzung final über EFAS entscheiden will, zeugt von Umsicht. Die Kommission scheint sich der Tragweite ihres Beschlusses bewusst. Dennoch ist es für curafutura ein Wehrmutstropfen, da die Debatte schon lange läuft und diese wichtige Reform jetzt endlich in trockene Tücher gebracht werden muss.

Keine unnötige zusätzliche Regulierung der Netzwerke
Erfreut zur Kenntnis nimmt curafutura auch den zweiten wichtigen Entscheid im Zusammenhang mit dem Kostendämpfungspaket 2 und hier besonders im Zusammenhang mit den integrierten Netzwerken. Die Kommission lehnt die Schaffung einer neuen Kategorie von Leistungserbringern ab, die mit der Verwaltung der Netzwerke beauftragt worden wäre. Diese Massnahme hätte nur zu einer schwerfällig wirkenden Regulierung geführt, ohne einen neuen Vorteil zu bringen. «Wir sind davon überzeugt, dass es nicht notwendig ist, einen Bereich zu regulieren, der bereits sehr gut funktioniert, da sich die mit alternativen Versicherungsmodellen verbundenen Netzwerke seit Jahren kontinuierlich und gut entwickeln», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura.

Die SGK-N hat den Erfolg und die Vorteile der aktuellen Situation gut erkannt, denn sie fordert anstelle von neuen Leistungserbringern, die Entwicklung alternativer Versicherungsmodelle zu erleichtern, denen sich die Versicherten freiwillig anschliessen (u.a. Ermöglichung von Mehrjahresverträgen und neue Berechnung der Prämienrabatte).

Rheumatologen verschreiben häufiger Biosimilars als Gastroenterologen oder Dermatologen. Das geht aus einer Untersuchung zum Verschreibungsverhalten von Adalimumab bei Patienten, die eine Behandlung beginnen – medizinisch als «naive Patienten» bezeichnet – hervor, die biosimilar.ch bei OFAC in Auftrag gegeben hat. Ursachen für die teils markanten Unterschiede sind schwierig zu eruieren. Gerade bei Ersttherapien können medizinische Gründe den Unterschied nicht erklären.

Insgesamt zeichnet sich bei den Biosimilars für 2022 ein überdurchschnittliches Wachstum von gut 13 % ab. Das ist positiv für die Kostendämpfung im Schweizer Gesundheitswesen, da Biosimilars im Vergleich zu Originalen eine ebenbürtige Qualität und Wirksamkeit aufweisen, dies jedoch zu einem deutlich tieferen Preis. Dieser Schritt in die richtige Richtung reicht aber bei weitem nicht aus: Solange Biosimilars nicht häufiger verschrieben werden, bleibt ein riesiges Einsparpotenzial unbenutzt. So werden nach wie vor rund 87 Millionen Franken unnötig ausgegeben – jährlich! Umso wichtiger ist es, dass jetzt finanzielle Fehlanreize der Vertriebsmarge zeitnah eliminiert werden.

Untersucht wurde das Verschreibungsverhalten der Substanz Adalimumab von Rheumatologen, Gastroenterologen und Dermatologen hinsichtlich Gebrauch von Biosimilars bei therapienaiven Patienten. Ausgewertet wurden die Verschreibungsdaten durch die Berufsgenossenschaft der Schweizer Apotheker, OFAC. Dabei erwiesen sich die Rheumatologen als vorbildlich für die Anwendung von Biosimilars: Rund 68% aller neu eingestellten Adalimumab-Patienten wurden 2022 ein Biosimilar verschrieben, Tendenz steigend. Im Vergleich dazu besteht bei Gastroenterologen und Dermatologen mit durchschnittlich 39% bzw. 24% Biosimilar-Verschreibungen bei neu eingestellten Patienten noch ein deutliches Steigerungspotenzial – und damit auch namhafte Einsparmöglichkeiten.

Weiterhin hohes ungenutztes Einsparpotential

Ziel muss es sein, dass weitere Fachspezialisten nachziehen. Denn das Einsparpotenzial von Biosimilars ist weiterhin gross. Wie der von biosimilar.ch, curafutura und Intergenerika geschaffene Biosimilar-Barometer Schweiz zeigt, sind im vergangenen Jahr Zusatzkosten von 87 Millionen Franken zu Handen der obligatorischen Grundversicherung entstanden, weil nicht flächendeckend Biosimilars verschrieben wurden.

Immerhin lässt sich trotz nach wie vor zurückhaltender Verschreibungspraxis ein Mengenwachstum des Biosimilar-Markts um 30% feststellen. Im Jahr 2022 wurden in der Schweiz 39 Biosimilars vermarktet, von denen insbesondere die 7 Biosimilars des allzeit umsatzstärksten Biologikums Adalimumab nennenswert sind. Sie konnten seit November 2019 bereits etliche Millionen Franken an Einsparungen bewirken, diese liegen im 2022 allein bei über 10 Mio CHF zu Gunsten der obligatorischen Grundverischerung.

Das Ziel eines flächendeckenden Einsatzes von Biosimilars ist jedoch noch weit entfernt. So lassen sich auffallend grosse Unterschiede in der Spitallandschaft beobachten. Zum Beispiel werden Biosimilars von Infliximab in der Spitalregion Bern/Solothurn nicht einmal halb so häufig wie im Tessin oder in der Romandie verwendet.

Der Bund hat es in der Hand

Fehlanreize wie das aktuelle Margensystem der Medikamente haben bisher eine breitere Anwendung von Biosimilars und Generika verhindert. Das Eidgenössische Department des Innern hat dies erkannt und schlägt im Rahmen der aktuell geplanten Verordnungsänderungen bei gleichen Wirkstoffen die gleiche Margenhöhe vor. Intergenerika und curafutura unterstützen diesen Teil der Reform in Kombination mit einer seit langem geforderten Revision der Margenordnung zur Elimination der Margenunterschiede zwischen Originalpräparaten und Biosimilars bzw. Generika.

Wird die Einführung eines preisunabhängigen Margensystems für gleiche Wirkstoffe zeitnah umgesetzt, können bis 2030 insgesamt Mehrkosten von rund 1 Milliarde Franken verhindert werden.

Extreme Positionen werden genutzt, um medial Aufmerksamkeit zu erzeugen und Interessen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Wahrheit liegt in der Regel zwischen Schwarz und Weiss. Das galt im vergangenen Jahr bei der Kostendebatte und gilt bei aktuellen Diskussionen um einen behaupteten grossflächigen Versorgungsengpass bei den Medikamenten.
Pius Zängerle, Direktor curafutura

Es ist doch interessant: Im vergangenen Jahr konnten die Schwarzmaler unter den Gesundheitsexperten nicht oft genug betonen, dass sich die Prämienerhöhungen für das Jahr 2023 in einem zweistelligen Prozentbereich bewegen werden. Geworden sind es 6.6 Prozent. In diesem Jahr  verkehrt sich die Diskussion ins Gegenteil. Aus dem Fokus auf die Kosten wird der Fokus auf die Versorgung mit den entsprechenden Hiobsbotschaften. Das Unschöne daran: In beiden Fällen schürt man Ängste bei der Bevölkerung.

Im Fall der Kosten wissen wir inzwischen, dass wir uns im Jahr 2022 ab der zweiten Jahreshälfte wieder auf dem Vor-Corona-Niveau eingependelt haben. Die Nachfrage nach Leistungen ist zwar ungebrochen und in bestimmten Bereichen gar angestiegen. Trotzdem ist das Wort «Kostenexplosion» deplatziert. Im vergangenen Jahr hatten wir in der OKP eine Kostensteigerung pro Person von 2.6 %. Das ist das Niveau, das wir über die vergangenen 10 Jahre sehen (+2.8%). Und verglichen mit dem Massstab der Expertengruppe des EDI, die von maximal 2.7 % Kostensteierung in der OKP pro Jahr spricht, bevor Massnahmen zur Kostendämpfung ergriffen werden sollen, bewegen wir uns im angepeilten Bereich.

Versorgungsengpass oder Lieferengpass?

Wachsamkeit ist auch beim Wort «Versorgungsengpass» angebracht. Haben wir einen Versorgungs- oder  in bestimmten Bereichen einen Liefererengpass? Je nachdem kommen andere Massnahmen zum Tragen. Ein Grossteil davon muss nicht neu erfunden werden. Schliesslich ist das Thema in den vergangenen Jahren in regelmässigen Abständen auf dem Polit-Parkett gelandet und jedes Mal wurde evaluiert, inwiefern der Massnahmenkatalog stimmt.

Wichtig erscheint mir, dass jeder die Verantwortung für seine ihm aufgetragene Funktion übernimmt. So hat das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) die Oberaufsicht über den Medikamentenbestand in den Pfichtlagern. Es führt auch eine laufend aktualisierte Liste mit zugelassenen und erhältlichen Humanarzneimitten. Darauf können die Leistungserbringer zugreifen. Der Arzt wiederum verschreibt das Rezept für seine Patienten. Die Apothekerin steht diesen beratend zur Seite – vor allem auch in Bezug auf die Frage nach der Abgabe eines Generikums oder Biosimilars. Bei Bedarf kann der Apotheker beim Arzt zurückfragen. Anders gesagt: Wir haben genügend Medikamente am Lager. Aber nutzen wir auch die vorhandenen Möglichkeiten aus und sind flexibel im Handeln?

Für Stirnrunzeln sorgt bei mir der Umstand, dass die Verknappung von Medikamenten mit zu tiefen Medikamentenpreisen und Sparrunden begründet wird. Die Schweiz ist betreffend guter Medikamentenversorgung, aber auch betreffend Preise an der Spitze aller europäischen Länder. Die Originalpräparate sind deutlich teurer und die Generika-Preise sind sogar doppelt so hoch wie im Ausland. Am Preis kann es also nur bedingt liegen.

Extreme Voten sorgen für Aufmerksamkeit

Wie muss man nun das alles einordnen? Wie überall auf der Welt vermag man derzeit vor allem mit lauten, extremen Voten für Aufmerksamkeit zu sorgen. Wenig verwunderlich ob der Kommunikationsflut, die mit den sozialen Medien Einzug hielt. Differenzierte Töne sind weniger gefragt. Gerade die Schweiz ist allerdings in der Vergangenheit sehr gut mit wohlüberlegten Entscheiden gefahren. Wohin das Gegenteil führen kann, zeigt das Beispiel zur Zulassung ausländischer Ärzte, das unlängst im Parlament erneut thematisiert wurde. Dass ein Entscheid innert weniger Monate bereits wieder in Frage gestellt und umgestossen wird, darf nicht zur Tagesordnung werden. Sonst wird die Politik unglaubwürdig und das Vertrauen in den Rechtsstaat leidet – zum Nachteil von uns allen.

Viel wichtiger scheint mir daher, die angepeilten und von langer Hand geplanten Reformen bei den ambulanten Arzttarifen, die einheitliche Finanzierung EFAS sowie die Revision der Margen endlich final über die Ziellinie zu bringen. Das mag dramaturgisch zwar weniger medienwirksam inszeniert werden können, ist aber in der realen Welt umso effektiver.