Der Leistungsausbau der obligatorischen Krankenpflegeversicherung OKP geht trotz Forderungen nach Entlastung der Prämienzahlerinnen und -zahler auch 2024 weiter. Gleich zwei entsprechende parlamentarische Vorstösse führen zu einem Leistungsausbau und damit zur Kostensteigerung, für die letztlich die Versicherten aufkommen müssen. Beide Vorstösse stehen in der nationalrätlichen Gesundheitskommission SGK-N zur Debatte, die diese Woche tagt. Eine Motion aus dem Ständerat hat zum Ziel, für Dolmetsch-Leistungen für Fremdsprachige im Gesundheitswesen eine nationale Vergütungspflicht einführen. In einer parlamentarischen Initiative aus den Reihen des Nationalrates wird verlangt, dass verschiedene Kosten für zahnärztliche Behandlungen wie etwa jene zur Prävention (regelmässige Kontrollen/ Dentalhygiene) durch die OKP übernommen werden.
Beide Vorstösse sind gut gemeint, doch schiessen sie über das Ziel hinaus. Nach Ansicht von curafutura muss es eine Grenze geben, wann die Verantwortung des Staates aufhört und dem Bürger die Selbstfinanzierung zugemutet werden kann. Schon heute haben wir de Facto einen voll ausgebauten Leistungskatalog in der Grundversicherung mit einer Abdeckung von fast 100 % aller Leistungen.
Entsprechend seltsam mutet es an, wenn jeweils im Herbst rund um die Kommunikation der neuen Prämien die Rufe nach Reformen und sofort umzusetzenden Massnahmen gegen höhere Prämien sehr laut sind, «unter dem Jahr jedoch Begehrlichkeiten stattgegeben wird, die letztlich mit zur Prämienerhöhung beitragen, weil neue Leistungen auf Geheiss der Politik von der OKP übernommen werden», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura. Was einmal im Katalog drin sei, sei nicht mehr rauszubringen. Umso wichtiger sei es, nicht laufend neue Massnahmen in den Leistungskatalog einzubauen.
Historisch. Das neugewählte Parlament hat heute EFAS in seiner ersten Session verabschiedet. Der Vorschlag zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen war 14 Jahre im parlamentarischen Prozess. Dank der Zustimmung und Kompromissfähigkeit einer grossen Mehrheit im Parlament ist dieser Meilenstein in der Gesundheitspolitik gelungen.
Bei EFAS handelt es sich um die umfassendste Reform des KVG seit der Einführung der neuen Spitalfinanzierung vor über zehn Jahren und ist eine der wichtigsten Reformen unseres Gesundheitssystems. Die EFAS-Allianz mit 22 Akteuren hat sich für diese Reform stark gemacht, damit bestehende Fehlanreize aufgrund der unterschiedlichen Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen behoben werden. Die Akteure sind überzeugt: EFAS wird unter anderem zusammen mit der stetigen Verbesserung der ambulanten und stationären Tarifsysteme viele positive Entwicklungen anstossen, von der Förderung der kostengünstigeren Ambulantisierung über das Aufbrechen des Silo-Denkens bis zur Stärkung der integrierten Versorgung.
Sinnvolle Reformen sind mehrheitsfähig! Das Ja zu EFAS hat Signalwirkung für die Schweizer Gesundheitspolitik und kann als Initialzündung für weitere Reformvorhaben zur Behebung von Fehlanreizen dienen. In jedem Fall bestätigt es die Allianzpartner in ihrem Engagement, sich für ein solidarisches und finanziell tragbares Gesundheitssystem der Zukunft einzusetzen.
Nach Ablauf der Referendumsfrist wird EFAS im Akutbereich auf den 1. Januar 2028 in Kraft treten – die Pflegeleistungen werden vier Jahre später in die einheitliche Finanzierung integriert. Bis zum Start ist die Branche gefordert, die nötigen Arbeiten für eine erfolgreiche Umsetzung zu erledigen. Die grösste Herausforderung dürfte die Erarbeitung eines neuen Tarifs für Pflegeleistungen sein, der bis zu deren Einbezug bereit sein muss. Die Allianz zählt für eine zügige Umsetzung dieses Projekts auf die konstruktive Mitwirkung aller involvierten Partnerinnen und Partner.
Die breite Allianz von 22 Akteuren der Gesundheitsbranche ruft das Parlament dazu auf, die Vorlage zur einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS) schlank zu halten und zu einem Abschluss zu bringen. Dazu braucht es eine klare Verbindlichkeit beim Einbezug der Pflege und den Willen, die Reform nicht zu überladen.
EFAS behebt mit der Vereinheitlichung der Finanzierung ambulant/stationär bestehende Fehlanreize, führt zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit der Finanzflüsse im Gesundheitssystem, einer sinnvollen und erwünschten Verlagerung von stationär zu ambulant sowie zur Förderung der integrierten Versorgung. Davon profitieren die Prämienzahlerinnen und -zahler. Die Reform ist an sich denn auch unbestritten. In der bevorstehenden Differenzbereinigung der beiden Kammern geht es nun noch einmal um wichtige Eckwerte.
Für einen verbindlichen Einbezug der Pflege
Der Nationalrat hat in der vergangenen Herbstsession vier Jahre nach Erstberatung von EFAS bei einem Knackpunkt der Vorlage einem Kompromiss zugestimmt. Wie vom Ständerat beschlossen, sollen die Pflegeleistungen zwar in die Vorlage integriert werden, jedoch nicht wie von der kleinen Kammer vorgesehen mit einer fixen Frist, sondern flexibel und an Bedingungen geknüpft. Nun ist der Ball erneut beim Ständerat. Seine vorberatende Kommission hat an ihrer Sitzung vom 12./13. Oktober 2023 die bestehenden Differenzen beraten und hält an ihrem Beschluss einer fixen Aufnahme der Pflegeleistungen vier Jahre nach Inkrafttreten von EFAS fest.
Die Allianzpartner teilen den Wunsch nach einer Verbindlichkeit bei der Integration der Pflege. Damit entsteht Rechtssicherheit und die Arbeiten für die Schaffung einer Tariforganisation können zielgerichtet angegangen werden. Notwendige Voraussetzung für den Einbezug der Pflegeleistungen ist die Transparenz über die OKP-pflichtigen Pflegekosten.
Eine Verknüpfung von EFAS mit der Pflegeinitiative, wie vom Nationalrat vorgeschlagen wurde, ist jedoch unnötig. Es besteht weder eine rechtliche noch eine materielle Verbindung zwischen den beiden Themen. Die Aufnahme derartiger Anliegen birgt das Potenzial der Ablenkung vom Reformgedanken. Dies gilt es zu vermeiden.
Das Effizienzpotenzial der Reform ausschöpfen
Bei der Leistungserbringung im stationären Bereich erhalten heute sowohl die Krankenversicherer als auch die Kantone eine Rechnung. Mit EFAS wird das Finanzierungssystem vereinfacht. Folgerichtig sollen unnötige doppelte Abwicklungsprozesse eliminiert werden. De facto benötigen nur die Versicherer, deren Kerngeschäft die Rechnungskontrolle ist, den Zugang zu Originalrechnungen. Ausserdem ist es aus Datenschutzgründen heikel, sensible Personendaten der Versicherten in nicht anonymisierter Form bei mehreren Instanzen verfügbar zu machen. Die Allianz spricht sich daher gegen die doppelte Rechnungskontrolle bzw. die zusätzliche Kontrolle durch die Kantone aus.
Die Allianzpartner appellieren an den Ständerat und an den Nationalrat, diese systemrelevante Reform, die nach 14 Jahren im parlamentarischen Prozess ausgereift ist, zügig zum Abschluss zu bringen – wenn möglich in der kommenden Wintersession. Damit die Vorteile der Reform möglichst bald ihre Wirkung entfalten und alle medizinischen und pflegerischen Leistungen, egal ob ambulant oder stationär durchgeführt, «aus einer Hand» finanziert werden.
Weitere Informationen zu EFAS finden Sie hier.
Auskünfte:
curafutura-Präsident Konrad Graber betont: «Wir bedauern den Entscheid und danken der KPT für die Unterstützung und die Zusammenarbeit während zehn Jahren. Trotz dieser Entwicklung bleibt unser Verband der Verbesserung des Gesundheitssystems verpflichtet und wir werden uns auch weiterhin dafür einsetzen.»
Beim Start von curafutura seien die damaligen Mitglieder davon ausgegangen, dass sie mit 40% der Versicherten Reformen vorantreiben könnten. «Diese 40% werden wir auch nach dem Abgang von KPT haben. Für uns ist klar, wir engagieren uns weiter», sagt Konrad Graber.
Mehrere von curafutura und ihren Partnern unterstützte Projekte zur Reform des Gesundheitssystems befinden sich auf der Zielgeraden. Erstens sollte die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (EFAS) in der Wintersession abgeschlossen werden können. Zweitens wird der neue Einzelleistungstarif TARDOC nun von allen Tarifpartnern unterstützt: FMH und H+ auf der Seite der Leistungserbringer und curafutura und santésuisse auf der Seite der Versicherer. Drittens kann das EDI bis Ende des Jahres über die Revision der Vertriebsmargen für Medikamente entscheiden, um so den Einsatz von Generika zu erhöhen.
curafutura wird auch bei den anderen und bei künftigen Reformprojekten darauf achten, dass ein Gleichgewicht zwischen einer hohen Qualität der Leistungen und einer für die Prämienzahler tragbaren Kostenentwicklung gewahrt bleibt. Ein besonderes Augenmerk wird curafutura ausserdem weiterhin auf die Tarifpartnerschaft von Leistungserbringern und Kostenträgern legen.
Die einheitliche Finanzierung EFAS ist in der Schlussrunde. Die Reform vereinheitlicht die Finanzierung und führt bei einem schlanken Prozess zu erheblicher Kostendämpfung. Im Fokus des Parlaments ist in der Wintersession die Rechnungskontrolle – das Kerngeschäft der Versicherer. Diese hilft mit, die steigenden Gesundheitskosten einzudämmen. 1.7 Milliarden Franken an Minderausgaben pro Jahr bringt die effiziente Kontrolle alleine dank unserervier Mitglieder. Branchenweit summieren sich diese auf rund 3.5 Milliarden Franken.
Das Volumen der ambulanten Leistungen nimmt aufgrund der gewollten Ambulantisierung laufend zu – auf Kosten der Prämienzahlerinnen und -zahler, die diese Leistungen zu 100 Prozent finanzieren. Eine der Massnahmen, die zur Entlastung führt, ist die Rechnungskontrolle der Versicherer. Der Betrag, der dank gezielter Kontrolle eingespart wird, ist beachtlich. Die curafutura-Mitglieder CSS, Helsana, Sanitas und KPT erzielen so Minderausgaben von 1.7 Milliarden Franken jährlich. Ohne Rechnungskontrolle würden die Prämien deutlich höher ausfallen.
In der aktuellen Debatte rund um die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen EFAS kommt der Rechnungskontrolle eine besondere Bedeutung zu. Für die Versicherer ist klar: Es ist ihre Kernkompetenz, Rechnungen zu kontrollieren. Das muss so bleiben. Sie haben die Instrumente, das Fachwissen und das Personal, um dieser wichtigen Aufgabe im Auftrag ihrer Versicherten gezielt nachzukommen. Dieser Prozess muss effizient bleiben, sonst wird das Kostendämpfungspotenzial von EFAS nutzlos verpufft.
10 Prozent Einsparung auf den Prämien
Die mit der systematischen Kontrolle erzielten Einsparungen für den Prämienzahler belaufen sich branchenweit auf geschätzt 3.5 Milliarden Franken. Das entspricht rund 10 Prozent Einsparungen auf den Prämien. Alle Krankenversicherer zusammen kontrollieren jährlich über 130 Millionen Rechnungen. Der Aufwand nur für die Rechnungskontrolle in der obligatorischen Grundversicherung beträgt geschätzt 400 Millionen Franken pro Jahr. Das ist eine gute Investition, da jeder ausgegebene Franken in diesem Bereich 9 Franken Einsparungen bringt.
Bei der Rechnungskontrolle kommen Einzelkontrolle, statistische Verfahren sowie gezielte Betrugsbekämpfung durch die Mitarbeitenden zum Einsatz, um die Rechnungen auf vertragliche, tarifliche und gesetzliche Bestimmungen zu überprüfen und somit die Prämienzahlenden nicht zusätzlich zu belasten, weil Leistungsabrechnungen falsch gestellt werden. Prüfregeln im System sorgen dabei für eine gute Filterung der Leistungen auf deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit, so wie es das Bundesgesetz über die Krankenversicherung KVG verlangt.
Überprüfen auch die Versicherten ihre Rechnungen, hilft dies zusätzlich, Kosten einzudämmen. Seit vergangenem Jahr erhalten alle Patientinnen und Patienten auch von Gesetzes wegen verbindlich eine Rechnungskopie. curafutura unterstützt diese Massnahme. Ist der neue Einzelleistungstarif TARDOC endlich eingeführt, wird das Lesen der Rechnung vereinfacht, weil die Zahl der tarifierten Leistungen deutlich abnimmt und deren Bezeichnung im Gegensatz zum veralteten TARMED wieder aktuell ist und der tatsächlich erbrachten Leistung entspricht.
Entscheidender Beitrag zur Missbrauchsbekämpfung Im Verlauf von 2022 haben sich bei den Krankenversicherern immer mehr Kundinnen und Kunden gemeldet mit Covid-Tests auf Leistungsabrechnungen, die nicht stattgefunden haben. Mittels forensischer datenbasierter Analysen auf missbräuchliche und betrügerische COVID-Tests konnten unsere Mitglieder Missbrauch eruieren sowie Leistungserbringer identifizieren, welche überproportional hohe Anteile an «ausführlichen Arzt-Patienten-Gesprächen» fakturiert haben. Mutmassliche Schadensumme ca. 20 Mio. Häufigste Missbrauchsmuster: Nicht durchgeführte Tests, doppelt verrechnete Tests und fehlende Aufsicht durch medizinisches Fachpersonal. Das Bundesamt für Gesundheit BAG benutzt die Analysen zur Durchsetzung der Rückforderungen der überproportional verrechneten «ausführlichen Arzt-Patienten-Gespräche» sowie zur Überprüfung der mutmasslich auffälligen Corona-Test-Center. Erhärtet sich der Verdacht in der Untersuchung, leitet das BAG eine verwaltungsrechtliche Strafuntersuchsuchung ein. |
EFAS verbessert unser Gesundheitssystem. Die Reform vereinheitlicht die Finanzierung und führt zu erheblicher Kostendämpfung. Darin ist sich curafutura gemeinsam mit 22 weiteren Akteuren des Gesundheitssystems sowie dem Bundesrat einig. Damit dies gelingt, braucht es bei der Einführung von EFAS aber eine schlanke Lösung ohne doppelte Rechnungskontrolle. Und es bedarf verlässlicher Rahmenbedingungen bei der Integration der Pflege.
Die Gesundheitskommission des Ständerates (SGK-S) will nichts von einer Annäherung an die Beschlüsse des Nationalrates wissen. Sie bleibt dabei: Die Rechnungen im stationären Bereich sollen weiterhin nicht nur von den Versicherern, sondern auch von den Kantonen kontrolliert werden. Zudem soll die Pflege nach einer festen Frist von 7 Jahren – selbst bei unklarer Datenlage – in EFAS integriert werden.
Die Vorlage verliert dadurch an Effizienz bei der Rechnungskontrolle – dem eigentlichen Kerngebiet der Versicherer. Zudem geht der Ständerat auf Kosten der Versicherten unnötige Risiken ein. Denn er will EFAS in die Pflege integrieren ohne klare Bedingungen zu nennen, die erfüllt sein müssen, damit diese Integration vollzogen werden kann. «Ich hoffe sehr, dass beim Ständerat noch ein Umdenken stattfindet», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura. «Das Verharren der Gesundheitskommission auf ihrer Position verschlechtert den Kerngehalt von EFAS. Wir wollen eine klare Systemverbesserung gegenüber dem Status quo sowie echte Kostendämpfung», sagt Pius Zängerle, auch im Hinblick auf die Debatte im Ständerat in der Wintersession.
Statt eines zügigen Vorankommens dieser wichtigsten Gesundheitsreform seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes droht nun in der Wintersession im neu gewählten Parlament eine schwierige Debatte und ein diffuser Kompromiss.
23 Verbände stehen hinter EFAS
Mit EFAS erhält die gewünschte und dringend notwendige Ambulantisierung den nötigen Schub. Sie hilft mit, dass die Gesundheitskosten gedämpft werden können, weil ambulant deutlich günstiger ist als stationär. Studien sprechen von einer Kostendämpfung von 1 bis 3 Milliarden Franken. Zudem wird der längst bekannte Systemfehler behoben, der zu Fehlentscheiden bei der Wahl der Behandlung beiträgt. Entsprechend gross ist der Support in der Branche. 23 namhafte Verbände stehen hinter EFAS. Sie sagen Ja zu
EFAS mit Integration der Pflege, sofern die Rahmenbedingungen verbindlich sind und Klarheit bezüglich OKP-pflichtiger Kosten bringen.
curafutura appelliert daher an beide Kammern, sich für eine schlanke Lösung und klare Rahmenbedingungen bei der Integration der Pflege zu entscheiden. Zunächst wird der neu zusammen gesetzte Ständerat darüber befinden. Die Chancen für die Ausgestaltung einer Lösung mit den gewünschten finanziellen Effekten sind nach Ansicht von curafutura nach wie vor intakt. In der Debatte im Nationalrat in der Herbstsession wurde der klare Wille dokumentiert, EFAS zügig abzuschliessen. Es wäre ein grosser Fortschritt, wenn dies auch im Ständerat gelingen könnte. Und ein wichtiges Signal von der Politik an die Bevölkerung, dass gute Reformen im Gesundheitswesen allen Unkenrufen zum Trotz möglich sind.
In der Debatte um steigende Prämien macht folgende Idee die Runde: Die Erweiterung des Leistungskatalogs ist Teil der Gleichung. curafutura hat die Diskussion Ende August anlässlich ihres Jahresmediengesprächs lanciert. So kritisierte Andreas Schönenberger, CEO von Sanitas, die Doppelmoral der Politik und betonte, dass es nicht sein kann, «dass diese ständig neue Leistungen bestellt und sich danach über die Mehrkosten beklagt».
«Wo hört die Verantwortung des Staates auf?»
Auch der Gesundheitsökonom und Professor an der Universität Basel, Stefan Felder, hinterfragte in einem Interview mit curafutura den Leistungskatalog: «Wo hört die Verantwortung des Staates auf? Haben alle Anrecht auf eine ‘Präsidenten-Medizin’, wie sie beispielsweise Joe Biden zukommt? Natürlich nicht: Es muss Grenzen geben, wo die Verantwortlichkeit des Staates aufhört und die der Privatperson beginnt. Diese Diskussion ist unbequem und wird nicht geführt.»
In der Folge schlossen sich weitere Akteure dieser Diskussion an. So war zu vernehmen, dass santésuisse Anfang September ein Moratorium für neue Leistungen forderte und die Groupe Mutuel Anfang Oktober eine Kürzung des Leistungskatalogs der OKP verlangte.
Aus Sicht von curafutura ist es noch zu früh, um zu sagen, mit welchen konkreten Mechanismen die Frage angegangen werden soll. Es ist jedoch festzustellen, dass die von curafutura angestossene Diskussion mittlerweile von einigen Akteuren des Gesundheitssystems aufgenommen wurde. Im politischen Bereich scheint sie jedoch noch zu wenig auf Gehör zu stossen.
Am Tag der Prämienkommunikation werden neue Leistungen beschlossen
Denn am selben Tag (sic), an dem die Prämienerhöhung 2024 angekündigt wurde, was den allgemeinen Unmut der Versicherten, der Politiker und der Medien hervorrief, beschloss das Parlament in aller Ruhe, den Leistungskatalog noch weiter auszubauen. So nahm der Ständerat am 26. September 2023 eine Motion an, die darauf abzielt, eine Pflicht zur Erstattung von Dolmetscherkosten für Personen durch die OKP einzuführen, die keine Landessprache sprechen. Dies, obwohl klar ist, dass die zusätzlichen Kosten beträchtlich sein werden und die Frage berechtigt ist, ob es in der Verantwortung der OKP liegt, Kosten aufgrund von Sprachproblemen zu übernehmen.
Natürlich handelt es sich hier nur um einen Einzelfall und es geht nicht darum, eine Gruppe von Patienten über eine andere zu stellen. Und man hört schon die Befürworter dieser Massnahme uns erklären, dass die dadurch verursachten Kosten nur einen kleinen Teil der gesamten OKP-Kosten von 36 Milliarden Franken pro Jahr ausmachen werden. Dennoch ist diese Episode sehr interessant, da sie die Dynamik, die seit 1996 entstanden ist, deutlich macht: Eine schrittweise und bislang unaufhaltsame Ausweitung des Leistungskatalogs der OKP, eine kategorische Forderung nach der anderen.
Mediendruck für immer mehr
Abgesehen von den konkreten Entscheidungen des Parlaments oder des Bundesrats, die den Leistungskatalog erweitern, muss ein weiteres Element erwähnt werden: Der starke Druck der Medien, immer mehr Elemente in die OKP zu integrieren. Dies gilt beispielsweise für den Off-Label-Use von Medikamenten, bei dem sich einige Medien gerne auf Ablehnungen der Kostenübernahme konzentrieren, obwohl insgesamt über 80% der Anträge angenommen werden. In letzter Zeit konnte man auch Politiker hören, die sich dafür aussprachen, die Kosten für Verhütung in die Grundversicherung aufzunehmen oder die die Tatsache beklagten, dass die Zahnarztkosten nicht enthalten sind.
Dieser Mechanismus wurde kürzlich in einem Gastbeitrag von Jacques-André Haury in L’Agefi beschrieben: «Die Medien tragen eine Mitverantwortung für den Anstieg der Gesundheitskosten. Sie müssen sich dessen bewusst sein und darauf reagieren. Es ist einfach, die Öffentlichkeit auf die steigenden Versicherungsprämien aufmerksam zu machen und, wenn möglich, das System und die Versicherer zu beschuldigen. Aber die Experten der Fakultät über die Effizienz ihrer Vorschläge und die damit verbundenen Kosten zu befragen, erfordert mehr Mut, obwohl genau das von den Medien erwartet werden sollte.»
Schluss mit der Naivität
Aus Sicht von curafutura ist es daher überfällig, eine gewisse Naivität gegenüber den steigenden Gesundheitskosten abzulegen. Ende September die steigenden Prämien zu beklagen und für den Rest des Jahres die Ausweitung der übernommenen Leistungen zu fordern, ist nicht kohärent. Die Politik muss diese Debatte aufgreifen und über konkrete Instrumente nachdenken, um diese Entwicklung zu begrenzen. Dies ist nicht die einzige Massnahme, aber sie ist zentral für eine wirksame Kostendämpfung.
Das Magazin des Tages-Anzeigers hat Anfang Oktober eine Reportage publiziert mit dem Titel «Auf Stammtisch-Tour durch die Schweiz». Journalisten des Magazins wollten wissen, wo Herrn und Frau Schweizer vor den Wahlen der Schuh drückt. Dazu haben sie sich am Stammtisch in Altdorf, in Schwyz, in Muotathal (SZ), in Zürich, Olten und Bern umgehört. Fazit: Schweizerinnen und Schweizern geht es gut. Gesundheitspolitik kommt quasi nicht zur Sprache, obschon Thema Nummer 1 im Wahlkampf und im Sorgenbarometer ganz oben. Einzig die Muotathaler diskutieren am Rande über Physiotherapie. Ansonsten bewegt die Gemüter politisch, wenn überhaupt, der Wolf. Wie passt das zusammen?
Auf der einen Seite haben wir auf das kommende Jahr eine markante Prämienerhöhung von 8.7%, die uns alle belastet und eine ungemütliche Entwicklung darstellt. Entsprechend dominant ist das Thema in den Medien. Auf der anderen Seite beschäftigen sich die Schweizerinnen und Schweizer weitaus weniger mit Gesundheitspolitik als die Medienberichterstattung vermuten lässt. FMH-Präsidentin Yvonne Gilli bezeichnete in einem Beitrag in der Schweizerischen Ärztezeitung SAEZ von Mitte Oktober die Mischung aus steigenden Prämien und nationalen Wahlen als toxisch. Weil viele Voten nur auf Ideologie und Schuldzuweisung abzielten, ohne entsprechende Rezepte oder mit wenig tauglichen.
Was bleibt hängen?
Mich treibt in diesem Kontext vor allem eine Frage um: Was bleibt von all den Ideen nach den Wahlen übrig? Denn wenn schon viel Lärm, dann wenigstens solcher, der zurecht Aufmerksamkeit generiert. Mit einer Rezeptur, die das an sich gute Gesundheitssystem verbessert – qualitativ UND Kosten dämpfend. Diese Kombination ist per se anspruchsvoll. Oftmals geht Kostendämpfung mit Abstrichen am Status Quo einher. Oder mit sinnloser Bürokratie. Und Verbesserung am System bedeutet nicht selten Mehrausgaben.
Gute Reformen bringen beides. DAS muss unser Gradmesser sein. Hier setze ich viele Fragezeichen hinter die aktuellen Vorschläge.
DIE 10 %-Inititative mag sozialpolitisch Linderung verschaffen, sie verbessert aber weder das System an sich noch führt sie zur Kostendämpfung. Auch der Vorschlag einkommensabhängiger Versicherungsprämien führt zu Komplexität und Aufwand. Die Kostenbremse-Initiative verbessert weder den Status Quo noch führt sie zur Optimierung. Nur schon mit dem indirekten Gegenvorschlag dürfte es noch mehr Blockaden geben.
Die Neuauflage der Einheitskassendiskussion bringt wohl auch keine neuen Erkenntnisse. Bei aller Kritik am Geschäftsverhalten von Krankenversicherern: Sie haben im Vergleich zu andern Sozialversicherungen tiefe Verwaltungskosten. Eine Einheitskasse brächte mehr Bürokratie ohne am Grundproblemen des Prämienwachstums etwas zu ändern.
Aktuell gibt es drei Reformen, die echte Kostendämpfung und Systemverbesserung bringen: Es sind dies die Einführung des ambulanten Arzttarifs TARDOC mit Pauschalen (sofern diese Tarife genehmigt werden). Die einheitliche Finanzierung EFAS. Und die Revision der Marge, damit der Apotheker beim Verkauf eines Originalmedikaments nicht mehr verdient als mit einem Generikum. Alle drei Reformen beheben grosse Fehlanreize und verbessern dadurch das System. Alle drei dämpfen die Kosten. TARDOC aufgrund der Kostenneutralität für drei Jahre (600 Mio.). EFAS weil wir mehr günstig ambulant behandeln und die koordinierte Versorgung einen Schub erhält, was Doppelspurigkeiten verhindert (1 bis 3 Mia. gemäss Studien). Die Margenrevision, weil es der Durchbruch für mehr Generika ist (60 Mio. plus mehrere 100 Mio. aufgrund von Nachfolge-Effekten).
Die drei Reformen haben Gemeinsamkeiten: Sie sind seit über 10 Jahren unterwegs. Sie sind notwendig und reif, aber weder interessant noch extravagant. Ganz anders die aktuellen Vorschläge der Parteien. Hier gehen die Emotionen hoch. Hier liegt der Fokus auf dem Ideengeber. Das ist wahlkampftechnisch optimal.
Staatsepidemiologe Tegnell: «Gegen simple Lösungen bin ich zutiefst skeptisch»
Der ehemalige schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegenell sagte einmal etwas, das mich aufhorchen liess: «Gegen simple Lösungen bin ich zutiefst skeptisch.» Weil sie in der Umsetzung meist viele Fehler zu Tage förderten. Ich gebe Tegnell insofern recht, als dass mir simpel zwar lieb ist, da schnell erfassbar. Aber gerade die Debatten um EFAS, TARDOC und Margenrevision zeigen, dass erst in der Auseinandersetzung mit dem Thema die Herausforderungen klar werden. Und wie schwierig es ist, eine kooperative Lösung hinzubekommen in einem System wie der Schweiz mit vielen Akteuren, die alle angehört werden wollen und mitreden können.
Letztlich obsiegt der Kompromiss, bei dem alle Abstriche zugunsten des neuen Produkts machen müssen. curafutura ist der Durchbruch bei der Margenrevision mit pharmaSuisse, FMH und H+ gelungen, bei EFAS mit 22 namhaften Verbänden sowie beim TARDOC mit der FMH, MTK und SWICA – und neuerdings auch mit Santésuisse und H+ in der Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Tarifbüro. Die lange Reifezeit der Projekte zeigt, dass es schnelle Lösungen auf Knopfdruck nicht gibt. Schon gar nicht in der Schweiz, die alle Vor- und Nachteile so lange abwägt, bis die «kluge» Lösung da ist. In der Vergangenheit sind wir für unser Abwägen belohnt worden. Und heute? Nach wie vor bin ich überzeugt, dass unser föderales System viele Vorteile hat – auch wenn sich die Welt immer schneller dreht. Irgendwann ist aber in jeder Debatte der Moment gekommen, um über den Schatten zu springen. Ich meine, das sei bei allen drei Reformen jetzt. Sonst kommt der Absturz.
Die Schweiz hat – allen Unkenrufen und negativen Berichterstattungen zum Trotz – nach wie vor eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Das hat seinen Preis. Schrauben wir wie wild daran herum und bewegen uns in alle Richtungen, laufen wir Gefahr, mehr zu verlieren, als uns lieb ist. Das neue Parlament muss unter neuem Bundesrat reife Projekte wie EFAS übernehmen. Und ein neuer Bundesrat wird bald über den ambulanten Arzttarif entscheiden müssen. Damit Platz für Neues entsteht, das dann 2030, 2040 oder vielleicht auch erst 2050 (!) zur Einführung bereitstehen wird. Ginge es schneller, wäre es eine erfreuliche Überraschung.
Die Gesundheitskommission des Ständerates (SGK-S) will nichts wissen von einer Annäherung an die Beschlüsse des Nationalrates. Sie bleibt dabei: Die Rechnungen im stationären Bereich sollen weiterhin nicht nur von den Versicherern, sondern auch von den Kantonen kontrolliert werden. Zudem soll die Pflege nach einer festen Frist von 7 Jahren – selbst bei unklarer Datenlage – in EFAS integriert werden.
Die Vorlage verliert dadurch an Effizienz bei der Rechnungskontrolle – dem eigentlichen Kerngebiet der Versicherer. Zudem geht der Ständerat auf Kosten der Versicherten unnötige Risiken ein. Denn er will EFAS in die Pflege integrieren ohne klare Bedingungen zu nennen, die erfüllt sein müssen, damit diese Integration vollzogen werden kann. «Ich hoffe sehr, dass beim Ständerat noch ein Umdenken stattfindet», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura. «Das Verharren der Gesundheitskommission auf ihrer Position verschlechtert den Kerngehalt von EFAS. Wir wollen eine klare Systemverbesserung gegenüber dem Status quo sowie echte Kostendämpfung», sagt Pius Zängerle, auch im Hinblick auf die Debatte im Ständerat in der Wintersession.
Statt eines zügigen Vorankommens dieser wichtigsten Gesundheitsreform seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes droht nun in der Wintersession im neu gewählten Parlament eine schwierige Debatte und ein diffuser Kompromiss.
Mit EFAS erhält die gewünschte und dringend notwendige Ambulantisierung den nötigen Schub. Sie hilft mit, dass die Gesundheitskosten gedämpft werden können, weil ambulant deutlich günstiger ist als stationär. Studien sprechen von einer Kostendämpfung von 1 bis 3 Milliarden Franken. Zudem wird der längst bekannte Systemfehler behoben, der zu Fehlentscheiden bei der Wahl der Behandlung beiträgt. Entsprechend gross ist der Support in der Branche. 23 namhafte Verbände stehen hinter EFAS. Und sie sagen Ja zu EFAS mit Integration der Pflege, sofern die Rahmenbedingungen verbindlich sind und Klarheit bezüglich OKP-pflichtiger Kosten bringen.
curafutura appelliert daher an beide Kammern, sich für eine schlanke Lösung und klare Rahmenbedingungen bei der Integration der Pflege zu entscheiden. Zunächst wird der neu zusammen gesetzte Ständerat darüber befinden. Die Chancen für die Ausgestaltung einer Lösung mit den gewünschten finanziellen Effekten sind nach Ansicht von curafutura nach wie vor intakt. In der Debatte im Nationalrat in der Herbstsession wurde der klare Wille dokumentiert, EFAS zügig abzuschliessen. Es wäre ein grosser Fortschritt, wenn dies auch im Ständerat gelingen könnte. Und ein wichtiges Signal von der Politik an die Bevölkerung, dass gute Reformen im Gesundheitswesen allen Unkenrufen zum Trotz möglich sind.
Die negative Prognose ist eingetroffen. Die mittlere Prämie steigt auf das kommende Jahr im Durchschnitt um 8.7 Prozent. «curafutura hat sich bis in letzter Minute dafür engagiert, dass die Margenrevision bei den Medikamenten vom eidgenössischen Departement des Innern EDI in die Revision bei den Medikamenten einfliesst», sagt curafutura-Direktor Pius Zängerle. So wäre eine unmittelbare Kostendämpfung von 60 Millionen Franken möglich geworden. Und als Auswirkung auf den Vertrieb von mehr Generika und Biosimilars hätten nochmals mehrere 100 Millionen Franken eingespart werden können. «Nun hat das EDI auf diese Kostendämpfung verzichtet – zumindest vorläufig. Das ist unverständlich angesichts der zusätzlichen Prämienlast für die Versicherten.»
Schon früh im Jahr hat sich abgezeichnet, dass die Entwicklung in die falsche Richtung läuft. Praktisch alle grossen Kostenblöcke verzeichnen ein deutliches Wachstum. «Umso wichtiger, Kostendämpfung dort vorzunehmen, wo sie ohne Abstriche an der Qualität zu realisieren ist – und erst noch einen Fehlanreiz behebt», so Zängerle. Im konkreten Fall ist es jener, dass der Apotheker oder Arzt mehr verdient am teuren Original als am günstigen Generikum.
Auch weitere systemrelevante Reformen mit Kostendämpfungspotenzial sind schon Jahre unterwegs und immer noch nicht am Ziel. 1) Die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS). Sie würde gemäss Berechnung des Bundesamts für Gesundheit eine Kostendämpfung in der Höhe von mindestens 1 Milliarde Franken bringen. 2) Auch der neue Arzttarif TARDOC, der den völlig veralteten TARMED endlich ersetzen soll, wird kostendämpfend wirken. Das Kostenneutralitätskonzept zum TARDOC garantiert eine unterdurchschnittliche Kostenentwicklung und bringt innerhalb von drei Jahren 600 Millionen Franken Einsparungen (Start 2025).
Um die Prämienzahler zu entlasten, hat für curafutura die Diskussion über den Leistungskatalog in der obligatorischen Grundversicherung Potenzial. Denn dieser umfasst quasi 98 % aller Leistungen. «Wollen wir die Prämienzahler entlasten, müssen wir den Vollausbau hinterfragen, den wir uns aktuell leisten», so Zängerle. Auch gelte es, mit vereinten Kräften der Leistungserbringer, der Kostenträger und der Patientinnen und Patienten überflüssige oder gar schädliche Leistungen zu vermeiden.
Viele der nun vorgebrachten Reformvorschläge verschlechtern das aktuelle System. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie davon ablenken, dass mit der Margenrevision, mit EFAS und dem TARDOC noch Reformen in Schlussrunden sind, die demnächst endlich gelingen können. Sind sie im Trockenen und in Kraft gesetzt, wird Raum frei für neue Reformen, die das Potenzial haben, dass das Gesundheitssystem der Schweiz weiterhin zu den Besten der Welt gehört, aber auch bezahlbar bleibt.