Die Revision des Arzttarifs mag manchen abstrakt erscheinen: Seit langem als vorrangige Reform gefordert, ohne dass etwas beschlossen wurde, kann man dazu kommen, an ihrer Realität oder Dringlichkeit zu zweifeln. Doch die Debatten im Ständerat in dieser Session haben in Erinnerung gerufen: Das Ganze ist sehr konkret und hat markante Auswirkungen in der Praxis. So haben mehrere Parlamentarier auf die katastrophale Situation hingewiesen, in der sich die Kindermedizin heute im Rahmen des TARMED befindet. Die Ungeduld wächst: Die Kinderspitäler sind von den Verzerrungen dieses veralteten Tarifs besonders betroffen und ihre Situation würde sich mit dem TARDOC deutlich verbessern.
Die Revision des Arzttarifs ist in Sicht. Offen ist: Welches ist der richtige Weg?

In diesem Zusammenhang stellen sich mehrere Parlamentarier vor allem die Frage nach dem Zeitplan: Wann wird das Kapitel TARMED endlich abgeschlossen sein? So fragte Ständerat Benedikt Würth den Bundesrat, was getan werden könne, um das Manöver zu beschleunigen und die Revision des Arzttarifs so schnell wie möglich voranzutreiben. Sein Wunsch: Eine Revision des TARMED bereits auf den 1. Januar 2024.

TARDOC in den Startlöchern

Wie steht es um diese Forderung? Zunächst einmal ist zu betonen, dass die endgültige Version des TARDOC nun fertig ist. curafutura und die FMH haben die vom Bundesrat geforderten Anpassungen (Kostenneutralität und Konzepte zur kontinuierlichen Weiterentwicklung) vorgenommen und die endgültige Version am 17. Februar 2023 an die Organisation ambulante Arzttarife (OAAT) übermittelt (siehe Medienmitteilung). Dies bedeutet, dass der TARDOC nun jederzeit dem Bundesrat zur Genehmigung eingereicht werden kann.

Es ist geplant, diese Einreichung beim Bundesrat zusammen mit den ambulanten Pauschalen zu machen, wenn diese bis zum 30. Juni 2023 fertig sind. Die Pauschalen befinden sich derzeit in einer Vernehmlassung bei den Tarifpartnern. Diese Vernehmlassung wird lehrreich sein, was den Reifegrad des Projekts betrifft.

Vernehmlassung zu den ambulanten Pauschalen

Die Vernehmlassung läuft bis Ende März 2023. Insbesondere wird die Meinung der Leistungserbringer, die mit den Pauschalen arbeiten werden, nämlich der Ärzte, von grosser Bedeutung sein. Nebst der Position des Dachverbands (FMH) wird auch die Position der medizinischen Fachgesellschaften sowie diejenige der einzelnen Spitäler entscheidend sein. Was den Standpunkt der Versicherer betrifft, so wird von dieser Seite die Frage der Kostenneutralität sorgfältig geprüft werden.

Wenn die in der Konsultation zu den ambulanten Pauschalen angesprochenen Punkte rechtzeitig angepasst werden können, können sich die verschiedenen Akteure auf das erste in der OAAT vorgesehene Szenario vorbereiten, d.h. eine gleichzeitige Einreichung des TARDOC und der Pauschalen an den Bundesrat zur Genehmigung. Sollten sich bei der Vernehmlassung hingegen grundlegendere Fragen ergeben, könnte sich das zweite Szenario abzeichnen, d.h. eine alleinige Einreichung des TARDOC an den Bundesrat zur Genehmigung.

Sollte sich dieses zweite Szenario am Horizont abzeichnen, hätten die gestern im Ständerat aufgeworfenen Fragen einen besonderen Klang. Denn wenn es Anfang April 2023 bereits wahrscheinlich ist, dass nur der TARDOC dem Bundesrat eingereicht wird, könnte das BAG, pragmatisch gesehen, bereits mit der technischen Prüfung des Genehmigungsgesuchs beginnen, ohne bis zur zweiten Hälfte des Jahres 2023 zu warten. Alles andere wäre eine Zeitverschwendung.

Es wird Aufgabe des Departements sein, sich zu positionieren, wenn Anfang April mehr über den Reifegrad der ambulanten Pauschalen bekannt ist. Bei ihrer Interessenabwägung wird es einerseits die Kapazitäten als Genehmigungsbehörde berücksichtigen müssen, andererseits aber auch die wachsende Unzufriedenheit der Leistungserbringer, die eine möglichst rasche Revision des TARMED fordern.

Die koordinierte Versorgung hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Der Pionier der medizinischen Netzwerke Felix Huber befürchtet heute jedoch, dass das zweite Massnahmenpaket des Bundesrates diesen Erfolg zunichte machen wird. Er appelliert im Interview mit curafutura an Geduld statt Reformeifer. Dann würden sich gute und effiziente Modelle von selbst durchsetzen.
Der Allgemeinmediziner Felix Huber hat 1998 den Grundstein für das Medix Netzwerk gelegt, dem heute zehn regionale Ärztenetze mit mehr als 700 Hausärztinnen und Hausärzten angehören.
Herr Huber, Sie haben sich kritisch über das zweite Massnahmenpaket des Bundesrates geäussert. Was stört Sie an diesem Entwurf?

Bundesrat Berset will im Massnahmenpaket 2 die koordinierte Versorgung stärken, indem er sie durchreguliert. Das ist ein gefährlicher und völlig unnötiger Schritt. Die koordinierte Versorgung hat sich grossartig entwickelt und wird laufend besser. Gesetzliche Regeln würden diese Innovation abwürgen. Die Situation ist geradezu grotesk: Die aktivistische Politik ist besessen von stetigen Eingriffen und Vorschriften. Alain Bersets Amtsführung führt zu einer Reformwut, die noch längst nicht ausgestanden ist – und unter der wir Ärztinnen und Ärzte und das ganze System leiden.

Woran denken Sie?

An das katastrophale Qualitätssicherungsgesetz. Oder die notdürftige Zulassungsregulierung: Diese ist kaum in Kraft und muss bereits revidiert werden.

Wo liegt die Gefahr in Bezug auf die koordinierte Versorgung?

Die Massnahmen gefährden die Weiterentwicklung der hausärztlich koordinierten Versorgung mit einer Flut von Vorschriften, die bereits im Gesetzestext vernichtend sind. Kommt dann erst noch die Verordnung aus dem BAG dazu, dann wird die Erfolgsgeschichte der alternativen Versicherungsmodelle einfach erstickt. Netzwerke müssten dann nach einem durchregulierten Raster organisiert und zusammengesetzt sein. Alles würde schwerfällig und bewilligungspflichtig. Die Kantone müssten den Netzwerken mit abermals weiteren Auflagen kantonale Leistungsaufträge geben und ihre Qualität überprüfen. Das ist ein Albtraum für die koordinierte Versorgung. Sie konnte sich nur in einem freien Umfeld bis jetzt so hervorragend entwickeln.

Politisiert der Bund an der Praxis vorbei?

Politik und Verwaltung reagieren auf unbefriedigende Zustände immer mit neuen Gesetzen und Verordnungen, die über das Ziel hinausschiessen. Alle gesundheitspolitischen Vorlagen der letzten Jahre legen davon ein trauriges Zeugnis ab. Die Verordnung zum neuen Heilmittelgesetz (VITH) erstickt mit ihren Auflagen das Aushandeln von Rabatten mit der Industrie. Das neue Qualitätsgesetz stockt wegen der realitätsfernen Auflagen in der Umsetzung und findet für die zur Verfügung stehenden Millionen kaum Projekte. Das Elektronische Patientendossier (EPD) bringt keinen Nutzen und muss den Spitäler und Leistungserbringer regelrecht reingeprügelt werden. Es wird auf der ganzen Linie scheitern. Die Zulassungsregulierung gefährdet die Versorgungssicherheit und wird zu einer Flut von juristischen Prozessen führen. Vieles wurde überstürzt eingeführt und verursacht nur Kosten und Ärger.

Zum Beispiel?

Die obligatorische Rechnungskopie an die Patienten. Sie wurde dem System ohne Realitätscheck aufgezwungen. Kein Intermediär und kein Praxisinformationssystem konnte das umsetzen. Viele ältere Patienten sind zudem verwirrt. Davon profitiert nur die Post: Sie kann Millionen von Briefen verschicken und die Leistungserbringer müssen es bezahlen.

Wie kann Gegensteuer gegeben werden?

Wir brauchen einerseits Ruhe in diesem Reformeifer und andererseits die Deblockierung wichtiger unbestrittener Reformwerke wie EFAS und TARDOC. Dafür reichen für die koordinierte Versorgung zwei minimal invasive Eingriffe: Seriös arbeitende Hausärztinnen in vertraglichen Netzwerken wollen nicht auf Listen aufgeführt werden, die dem Patienten gegenüber irreführenderweise als Hausarztmodell angepriesen werden. Sie müssen also die Möglichkeit haben, sich von den Listenmodellen streichen zu lassen (Art. 41 Abs. 4 KVG). Zudem bin ich dafür, dass das BAG mit der Prämienkontrolle bei den AVM aufhört. Versicherungen sollen ihre Prämien frei festlegen können (Art. 101 KVV).

Zweites Massahmenpaket: Die Haltung von curafutura:

curafutura lehnt die KVG-Änderungen ab, die der Bundesrat im Rahmen des zweiten Pakets zur Kostendämpfung vorschlägt. Es fehlt im Bericht des Bundesrats eine realistische Regulierungsfolgenabschätzung genauso wie eine konkrete Aussage zur Höhe der Kostenfolgen dieses Pakets. curafutura vermisst zudem eine sachlogische Unterteilung. Die primäre Zielsetzung des Pakets, nämlich die Kostendämpfung, wird verfehlt: Die vorgesehenen Anpassungen im KVG schränken einzig den Spielraum ein, den heute die Versicherten bei der Wahl ihrer Grundversicherung haben.

Insbesondere verschlechtert die Vorlage die Rahmenbedingungen für eine Weiterentwicklung von neuen integrierten Versorgungsmodellen zuungunsten der Versicherten. Darüber hinaus schwächt sie die Tarifpartnerschaft und stellt einen weiteren markanten Schritt zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens dar.
10 Krankenversicherer koordinieren sich beim Off-Label-Use von Medikamenten auf einer gemeinsamen Plattform und bereits gibt es weitere Interessenten für eine Mitgliedschaft. Das ist eine Erfolgsgeschichte, die gleich in mehrfacher Hinsicht Vorbildcharakter hat.
Anwendung ausserhalb der Regel bei den Medikamenten: Der Off-Label-Use ist ein Politikum.

Gute Lösungen stossen schnell auf Interesse. Erst recht, wenn der Status Quo immer wieder Gegenstand von hitzigen Diskussionen ist. So wie es bei der Handhabung des Off-Label-Use in der Schweiz der Fall ist.

Negative Schlagzeilen zum Thema gibt es zuhauf. Und dies, obschon das jetzige System nach Ansicht von curafutura grundsätzlich zufriedenstellend ist. Für die Bewilligungspraxis beim Off-Label Use sind die Vorgaben klar definiert. Zusätzlich trägt seit vergangenem Jahr eine neue Plattform mit hinterlegten Studienratings zur flächendeckend einheitlichen Beurteilung der Einzelfallgesuche bei. Der Plattform haben sich bereits 10 Versicherer angeschlossen. Das entspricht einer Patientenabdeckung von über 80 Prozent.

Auch wenn viel vom Gesetz die Rede ist: Im Zentrum der Diskussion steht der Mensch.

Aufgabe der Krankenversicherer ist es dabei, NICHT das Schicksal der betroffenen Person in den Vordergrund zu stellen. Ihr Auftrag ist es, nach klar definierten Kriterien, die in Artikel 71a – 71d der Verordnung über die Krankenversicherung KVV festgelegt sind, nach einem Antrag auf Kostengutsprache den Ausnahmefall nüchtern zu beurteilen, inwiefern eine Medikation im Off-Label-Use vom Krankenversicherer im Einzelfall bezahlt werden darf.

Der Monitoring-Bericht aus dem Jahr 2019 des Bundesamtes für Gesundheit zeigt: Rund 80 Prozent der Einzelfallgesuche werden gutgeheissen. 20 Prozent werden abgelehnt. Letzteres kann sein, weil es sich nicht um eine lebensbedrohliche, schwere Krankheit handelt, weil Behandlungs-Alternativen bestehen, oder weil der erwartete therapeutische Nutzen nicht gross genug, respektive das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht angemessen ist.

Offensive statt Verteidigung

Vor einem Jahr sind die vier Krankenversicherer von curafutura CSS, Helsana, Sanitas und KPT zusammen mit dem Santésuisse-Mitglied SWICA in die Offensive gegangen. Gemeinsam haben sie sich entschlossen die Nutzenbewertung von neuen Wirkstoffen auf Basis publizierter klinischen Studien vorznehmen und sich auf der digitalen Plattform Smartrating zu organisieren.

Wie das so ist, wenn die Kritik gross und die Lösung gut ist, ging es schnell, bis sich weitere Versicherer der Initiative anschlossen. Gut ein Jahr nach dem Start sind auch Concordia, Groupe Mutuel, Visana, Sympany und Atupri mit an Bord. Und es gibt bereits weitere Interessenten, die sich aller Voraussicht nach der innovativen Lösung anzuschliessen werden, womit die Abdeckung nahezu vollständig ist.  

Die Vorteile der Plattform sind offensichtlich: Gleiche Ausgangslage für alle Beurteilungen, rechtsgleicher Zugang für die Patienten durch eine schweizweit einheitliche und breit abgestützte, wissenschaftliche Studienbeurteilung, die Einbettung in den klinischen Kontext, die transparente Darstellung der Entscheide sowie digitalisierte Abläufe.

In der Praxis funktioniert die Zusammenarbeit wie folgt: Wirkstoff, Indikation, Studien werden von den Vertrauensärzten der angeschlossenen Versicherer auf der Plattform platziert. Die Vertrauensärzte der teilnehmenden Versicherer geben ihr Rating ab; diese werden gemeinsam diskutiert. Das Ergebnis: Eine gemeinsame einheitliche Beurteilung.  In der Folge wird das Branchenrating auf der Plattform festgehalten. Die Vertrauensärzte nutzen dieses als Basis bei der jeweiligen Einzelfallbeurteilung.

Erneut Brennpunkt in Politik und Medien

Nachdem zu Jahresbeginn ein Einzelfall basierend auf einem abschlägigen Studienrating in den Medien beleuchtet wurde, und der Off-Label-Use im Rahmen der Revision bei den Medikamenten zur Debatte steht, ist es curafutura wichtig, diese Plattform als offensichtlichen Mehrwert für alle Akteure zu beleuchten.

Die Plattform ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Für die Patienten, da sie sich sicher sein können, dass die Beurteilung breit abgestützt ist. Für die Vertrauensärzte, weil sie ihre Entscheide schneller und auf einer soliden Basis fällen können, was wiederum für die Patientinnen und Patienten wichtig ist. Und weil das Vorgehen einheitlich und somit nachvollziehbar ist. Aber auch der Zusammenschluss von 10 Versicherern zeigt: Bei guten Ideen spannt die Branche schnell und unkompliziert zusammen.

«Vom Ergebnis sind die angeschlossenen Versicherer überzeugt, weil einheitliche Studienratings flächendeckend zur Verfügung stehen», sagt Andreas Schiesser, Projektleiter Pharma und Medikamente.

Experten werden bereits beigezogen

Dass nun unter anderem die Forderung im Raum steht, einen Expertenrat die Beurteilung vornehmen zu lassen, ist für curafutura insofern zu hinterfragen, «weil Experten bereits heute im wöchentlichen Austausch bei Bedarf und Unklarheit zur Stellungnahme beigezogen werden und dieser pragmatische Ansatz auf positives Echo stösst», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura.

Die Plattform sei in der Tat ein gutes Beispiel für gemeinsame Zusammenarbeit zugunsten der Patientinnen und Patienten, so Zängerle. Würde dieses Beispiel einer unkomplizierten, effizienten und effektiven Kooperation Schule machen, wäre dies nach Ansicht von curafutura sehr zu begrüssen. Wird jetzt im Rahmen der KVV-Revision eine neue Lösung aus dem Boden gestampft, nachdem diese Initiative auf breite Zustimmung stösst und bereits 10 Versicherer mit einer Patientenabdeckung von 80 Prozent dabei sind, werde die Botschaft ausgesandt: Nur, was Top-down komme, sei gut. Wirksame Eigeninitiative der Akteure hingegen werde torpediert, selbst wenn sie beinahe flächendeckend umgesetzt, wenig Ressourcen fressend und erst noch einfach strukturiert statt stark reguliert ist.

Der Ständerat will nichts von einem unmittelbaren Eingriff des Bundesrates in den veralteten ambulanten Arzttarif TARMED wissen. Das ist ein Bekenntnis für die Zukunft der neuen ambulanten Tarifstrukturen, namentlich des TARDOC. Gleichzeitig erweitert die kleine Kammer aber den Handlungsspielraum von Bund und Kantonen im Bereich der ambulanten Tarife. Das ist ein unnötiger bürokratischer Ausbau und schwächt die Tarifpartnerschaft. Hingegen begrüsst curafutura die klaren Entscheide des Ständerates gegen eine Überregulierung der Reserven, der sich insbesondere gegen eine maximale Obergrenze entschieden hat. Dies hätte unweigerlich zu einem Jojo-Effekt bei den Prämien geführt.

Tarifverhandlungen obliegen den Tarifpartnern. Das sieht das Bundesgesetz über die Krankenversicherung so vor. Für curafutura ist es daher unverständlich, dass der Ständerat nun Bund und Kantonen mit weiteren, ergänzenden Kompetenzen im Bereich der ambulanten Tarife ausstatten will. Bereits heute verfügen sowohl Bund als auch Kantone über Handlungsoptionen im Bereich von Tarifeingriffen im ambulanten Bereich. Indem der Ständerat beiden Exekutivbehörden im Rahmen der Debatte der Kostenbremse-Initiative und des Gegenvorschlags weitergehende Instrumente in die Hand gibt, wird der Prozess nur verkompliziert. Das führt zu einem unnötigen Bürokratieausbau und schwächt die Tarifpartnerschaft.

Erfreulich ist hingegen die Bereitschaft der kleinen Kammer, die Zukunft des ambulanten Arzttarifs ohne den veralteten TARMED zu planen. Das ist ein positives Signal für den TARDOC, der gemäss Fahrplan des ambulanten Tarifbüros OAAT wenn möglich gemeinsam mit Pauschalen per 1. Januar 2025 an den Start gehen soll. Es ist ein gutes Beispiel für erfolgreiche Tarifverhandlungen, namentlich von curafutura, FMH und MTK. Inzwischen warten viele Akteure auf seine Einführung.

Reserven: Deutliche Mehrheit sagt Nein zu einer Obergrenze
curafutura begrüsst die klaren Entscheide des Ständerates gegen eine Überregulierung der Reserven. Insbesondere hat er sich gegen die Einführung einer maximalen Obergrenze von 150% der Solvenzquote entschieden (30 zu 10 Stimmen). Dies macht aus mehreren Gründe Sinn. Erstens hat sich in den letzten Monaten gezeigt, wie wichtig ausreichende Reserven im System sind. Die Reserven wurden u.a. im Jahr 2022 benötigt, da die Kosten die Prämien überstiegen. Bundesrat Berset nannte in der Debatte aktualisierte Zahlen: Die Reserven sind von 12 Milliarden auf 9 Milliarden gesunken.

Darüber hinaus besteht das Problem einer verbindlichen Obergrenze darin, dass sie unweigerlich zu einem Jojo-Effekt bei den Prämien führen würde. Es gäbe Jahre, in denen die Reserven gesenkt werden müssten, weil sie über der 150%-Grenze liegen, was die Prämienlast verringern würde. Und es gäbe andere Jahre, in denen die Prämien nicht nur den Kostenanstieg decken, sondern auch die Wiederauffüllung der Reserven ermöglichen müssten, was zu einem zusätzlichen Anstieg der Prämien führen würde.

Kooperation ist einer der Grundwerte von curafutura: gute Lösungen enstehen oft aus Partnerschaften zwischen den Akteuren. In diesem Sinne lassen wir in einer Reihe von Interviews die Akteure des Gesundheitssystems zu Wort kommen.

Felix Huber ist ein Pionier der integrierten Versorgung – und ein grosser Fan unseres Gesundheitswesen. Was dieses braucht, um gesund zu bleiben? Geduld statt Reformeifer, sagt der Hausarzt. Dann würden sich gute und effiziente Modelle von selbst durchsetzen.
Der Allgemeinmediziner hat 1998 den Grundstein für das Medix Netzwerk gelegt, dem heute zehn regionale Ärztenetze mit mehr als 700 Hausärztinnen und Hausärzten angehören.
Herr Huber, Sie haben Ende der 90er-Jahre mit dem ersten Praxisnetzwerk die integrierte Versorgung angestossen:  Was hat Sie dazu bewogen?

Im Vordergrund stand die Erkenntnis, dass eine hausärztlich koordinierte medizinische Versorgung zu einer besseren Behandlungsqualität führt. Zudem haben wir Ärztinnen und Ärzte eine Verantwortung für den sorgfältigen Einsatz der Ressourcen und für eine langfristige Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems. Mit einer hausärztlich koordinierten Versorgung können wir bis zu 20 Prozent der Kosten einsparen.

Und damit auch das Gesundheitswesen günstiger zu machen?

Für die Patienten, die das wollen. Wenn wir uns auf Behandlungen konzentrieren, die wirklich einen Nutzen bringen, können wir viel einsparen. Mit den modellversicherten Patienten einigen wir uns auf diese Strategie und lassen alles weg, wofür es keine Evidenz gibt. Das heisst: Integrierte Modelle machen die Medizin effizienter und führen gleichzeitig zu bessern Behandlungsresultaten. Aber die Effizienz zu erhöhen, ist aufwändig und anstrengend – für alle Player. Das kann nur freiwillig geschehen.

„Volkswirtschaftlich sind die guten Hausarztnetze mit Verträgen mit Versicherern die einzigen Modelle, mit denen substantiell Kosten eingespart werden können.“
Welche Vorteile bringt die koordinierte Versorgung mit sich?

Patientinnen und Patienten können sich einen persönlichen Hausarzt und damit auch eine kontinuierliche Arzt-Patienten-Beziehung sichern. Auf dem Land ist das schon heute nur noch in solchen Modellen möglich. Bald wird es in der ganzen Schweiz den Zugang zu guten Hausärzten nur noch über die koordinierte Versorgung geben. Volkswirtschaftlich sind die guten Hausarztnetze mit Verträgen mit Versicherern die einzigen Modelle, mit denen substantiell Kosten eingespart werden können.

Steht das nicht dem Trend der Spezialisierung entgegen?

Im Gegenteil. Je spezialisierter und fragmentierter die medizinischen Behandlungen werden, desto mehr braucht es eine Hausärztin, die begleitet und gemeinsam mit Patienten den richtigen Behandlungspfad wählt. Der Hausarzt führt das medizinische Dossier mit Medikationskarte, Diagnoseliste, relevanten Berichten et cetera.

Der Patient braucht Ruhe: Die Frequenz, mit der im Gesundheitswesen Veränderungen und Anpassungen vorgenommen werden, ist zu hoch – und ungesund.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Netzwerke?

Wir erleben bei den alternativen Versicherungsmodellen einen Boom. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung hat ein solches Modell gewählt. Die richtige kontinuierliche Betreuung von kranken Menschen können allerdings nur Ärztinnen und Ärzte in einem Netzwerk gewährleisten, das mit den Versicherungen Verträge abgeschlossen hat. Davon profitiert heute etwa ein Viertel der Bevölkerung. Die restlichen 50 Prozent gehören einem telemedizinischen Modell an, das in Bagatellfällen beraten kann. Oder in einem von den Kassen einseitig ausgerufenen Listenmodellen, das nichts mit koordinierter Betreuung zu tun hat.

„Das ist eine Stärke unseres Systems: Es gibt eine grosse Freiheit. Zu der muss man Sorge tragen.“
Wie funktioniert die Zusammenarbeit in den Netzwerken?

Wir haben seit vielen Jahren eine exzellente Zusammenarbeit mit vielen grossen Kassen, mit denen wir vertraglich die kontinuierliche Betreuung der Patienten im Hausarztmodell regeln, Qualitätsstandards und Vergütungsregeln vereinbart haben. Das ist grossartig und beruht auf der dreifachen Freiwilligkeit der PatientInnen, der ÄrztInnen und der Versicherer. Das ist eine Stärke unseres Systems: Es gibt eine grosse Freiheit. Zu der muss man Sorge tragen. Es gibt aber immer noch Versicherungen, die das Potenzial der hausärztlich koordinierten Versorgung nicht erkannt haben.

Im Gesundheitswesen ist der Veränderungsdruck gross. Ist dadurch diese Freiheit in Gefahr?

Eingriffe sind extrem heikel, wenn sie regulieren oder Mengengerüste festlegen wollen. Ich stelle mich dem nicht grundsätzlich entgegen, aber man muss sehr aufpassen. Der Bund und die Kantone übertreffen sich in Verordnungen, die weit über das Ziel hinausschiessen. Politikerinnen und Politiker haben per se den Auftrag, etwas zu machen. Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, sie würden besser nichts machen. In einem so grossen, komplexen System braucht es manchmal einfach Geduld.

Vieles regelt sich selber?

Sehen Sie: Bei den guten Hausärztinnen und -ärzten wird es nur noch Platz für Patienten mit dem richtigen Versicherungsmodell geben. Schon heute sind praktisch alle Hausarztpraxen überfüllt. Patientinnen und Patienten werden merken, dass sie irgendwann einen Hausarzt brauchen. Dann werden sie in das richtige Versicherungsmodell wechseln.

Das System reagiert sensibel: Kleine Massnahmen haben grosse Wirkungen. Wie die integrierte Versorgung, deren Basis ein einziger Satz im Gesetz ist.
Ein oft genanntes Stichwort bei der koordinierten Versorgung ist die Interprofessionalität.

Das BAG hat runde Tische für die integrierte Versorgung verlangt. Spitex, Ärzte, Apotheker und so weiter sollen zusammen eine Lösung erarbeiten. Ich kann Ihnen sagen: Da wird genau gar nichts herausschauen. Denn alle Akteure setzen sich einzig für ihre Interessen ein und wollen einen Teil des Kuchens, einen möglichst grossen Teil.

Was tun?

Fakt ist: Es können nicht alle steuern. Steuern soll derjenige, der die grösste Generalistenerfahrung hat. Und das ist nun mal der Hausarzt. Er hat eine umfassende Sicht der Dinge. Ich verstehe die Angst, übergangen zu werden. Wir sollten gescheiter Kooperationsvereinbarungen zwischen verschiedenen Leistungserbringern ausarbeiten, statt unsere Zeit an runden Tischen verschwenden.

„Es sind viele Eingriffe ins System geplant, deren Auswirkungen man nicht kennt – und das dünkt mich gefährlich.“
Was motiviert Sie, sich für ein gutes Gesundheitswesen einzusetzen?

​​Insgesamt haben wir eine hervorragende Versorgung in der Schweiz und einen fantastischen Freiheitsgrad der Akteure. Das ist einzigartig. Das ist es, was mich antreibt: Wir haben ein tolles, kostbares, aber teures System, bei dem man aufpassen muss, dass man es nicht zerstört. Es sind viele Eingriffe ins System geplant, deren Auswirkungen man nicht kennt – und das dünkt mich gefährlich.

Wie sieht für Sie das ideale Gesundheitswesen aus?

Wir müssen uns alle anstrengen, dass wir die Ressourcen sehr sorgfältig einsetzen. Die Verschwendung wegzulassen, ist sehr anspruchsvoll und ich bin überzeugt, dass der Hausarzt dabei die zentrale Rolle spielen muss. Das heisst auch: Wir müssen den Hausarztberuf attraktiver machen. In dem wir vielleicht auf dem Land die entsprechenden Infrastrukturen zur Verfügung stellen. Die koordinative Leistung der Hausärztinnen und Hausärzte muss im Zentrum stehen, um die Kosten zu senken und die Qualität zu steigern. Dafür gibt es zahlreiche Studien. Unnötige, unkoordinierte Medizin hat Nachteile, gesundheitliche und finanzielle.


Zweites Massnahmenpaket zur Kostendämpfung

Sie haben sich kritisch über das zweite Massnahmenpaket des Bundesrates geäussert. Was stört Sie an diesem Entwurf?

Bundesrat Berset will im Massnahmenpaket 2 die koordinierte Versorgung stärken, indem er sie durchreguliert. Das ist ein gefährlicher und völlig unnötiger Schritt. Die koordinierte Versorgung hat sich grossartig entwickelt und wird laufend besser. Gesetzliche Regeln würden diese Innovation abwürgen. Die Situation ist geradezu grotesk: Die aktivistische Politik ist besessen von stetigen Eingriffen und Vorschriften. Alain Bersets Amtsführung führt zu einer Reformwut, die noch längst nicht ausgestanden ist – und unter der wir Ärztinnen und Ärzte und das ganze System leiden.

Woran denken Sie?

An das katastrophale Qualitätssicherungsgesetz. Oder die notdürftige Zulassungsregulierung: Diese ist kaum in Kraft und muss bereits revidiert werden.

Wie liegt die Gefahr in Bezug auf die koordinierte Versorgung?

Die Massnahmen gefährden die Weiterentwicklung der hausärztlich koordinierten Versorgung mit einer Flut von Vorschriften, die bereits im Gesetzestext vernichtend sind. Kommt dann erst noch die Verordnung aus dem BAG dazu, dann wird die Erfolgsgeschichte der alternativen Versicherungsmodelle einfach erstickt. Netzwerke müssten dann nach einem durchregulierten Raster organisiert und zusammengesetzt sein. Alles würde schwerfällig und bewilligungspflichtig. Die Kantone müssten den Netzwerken mit abermals weiteren Auflagen kantonale Leistungsaufträge geben und ihre Qualität überprüfen. Das ist ein Albtraum für die koordinierte Versorgung. Sie konnte sich nur in einem freien Umfeld bis jetzt so hervorragend entwickeln.

„Politik und Verwaltung reagieren auf unbefriedigende Zustände immer mit neuen Gesetzen und Verordnungen, die über das Ziel hinausschiessen. Alle gesundheitspolitischen Vorlagen der letzten Jahre legen davon ein trauriges Zeugnis ab.“
Politisiert der Bund an der Praxis vorbei?

Politik und Verwaltung reagieren auf unbefriedigende Zustände immer mit neuen Gesetzen und Verordnungen, die über das Ziel hinausschiessen. Alle gesundheitspolitischen Vorlagen der letzten Jahre legen davon ein trauriges Zeugnis ab. Die Verordnung zum neuen Heilmittelgesetz (VITH) erstickt mit ihren Auflagen das Aushandeln von Rabatten mit der Industrie. Das neue Qualitätsgesetz stockt wegen der realitätsfernen Auflagen in der Umsetzung und findet für die zur Verfügung stehenden Millionen kaum Projekte. Das Elektronische Patientendossier (EPD) bringt keinen Nutzen und muss den Spitälern und Leistungserbringern regelrecht reinprügelt werden. Es wird auf der ganzen Linie scheitern. Die Zulassungsregulierung gefährdet die Versorgungssicherheit und wird zu einer Flut von juristischen Prozessen führen. Vieles wurde überstürzt eingeführt und verursacht nur Kosten und Ärger.

Zum Beispiel?

Die obligatorische Rechnungskopie an die Patienten. Sie wurde dem System ohne Realitätscheck aufgezwungen. Kein Intermediär und kein Praxisinformatiksystem konnte das umsetzen. Viele ältere Patienten sind zudem verwirrt. Davon profitiert nur die Post: Sie kann Millionen von Briefen verschicken und die Leistungserbringer müssen es bezahlen.

Wie kann Gegensteuer gegeben werden?

Wir brauchen einerseits Ruhe in diesem Reformeifer und andererseits die Deblockierung wichtiger unbestrittener Reformwerke wie EFAS und TARDOC. Dafür reichen für die koordinierte Versorgung zwei minimal invasive Eingriffe: Seriös arbeitende Hausärztinnen in vertraglichen Netzwerken wollen nicht auf Listen aufgeführt werden, die sich dem Patienten gegenüber irreführenderweise als Hausarztmodell angepriesen werden. Sie müssen also die Möglichkeit haben, sich von den Listenmodellen streichen zu lassen (Art. 41 Abs. 4 KVG). Zudem bin ich dafür, dass das BAG mit der Prämienkontrolle bei den AVM aufhört. Versicherungen sollen ihre Prämien frei festlegen können (Art. 101 KVV).

Alle vom Bundesrat geforderten Anpassungen konnten vorgenommen werden

Die Tarifpartner FMH und curafutura haben die finale Version des neuen Arzttarifs TARDOC an die Organisation ambulante Arzttarife (OAAT) übermittelt. Die neue Version (V1.3.1) enthält die vom Bundesrat geforderte Anpassung der Kostenneutralität und die Konzepte zur Weiterentwicklung des TARDOC nach dessen Inkrafttreten. Damit ist der Einzelleistungstarif TARDOC  bereit, um spätestens im 2. Semester 2023 dem Bundesrat zur Genehmigung eingereicht zu werden.

Die Schweizerische Ärztevereinigung FMH und die Krankenversicherer von curafutura – CSS, Helsana, Sanitas, KPT – sowie SWICA  haben, unterstützt von den Versicherern der Unfallversicherung, Militärversicherung und Invalidenversicherung (MTK), die finale Version des TARDOC an die Organisation ambulante Arzttarife (OAAT) zugestellt. Der Einzelleistungstarif TARDOC soll – vereinbarungsgemäss zusammen mit den ambulanten Pauschalen – als separates Genehmigungsgesuch, spätestens im 2. Semester 2023 dem Bundesrat zur Genehmigung eingereicht werden. Derzeit werden in der OAAT AG gemeinsam Tarifierungsgrundsätze für eine Koordination für den TARDOC und die ambulanten Pauschalen erarbeitet, damit künftig beide Tarifwerke aufeinander abgestimmt angewendet werden können. 

Finale Fassung, die die Forderungen des Bundesrates integriert

Die finale Version des TARDOC enthält sämtliche Anpassungen, die der Bundesrat bei seiner Überprüfung  des Tarifs am 3. Juni 2022 verlangt hatte. Der Bundesrat hatte damals festgestellt, dass der TARDOC grundsätzlich genehmigungsfähig ist, aber zusätzliche Bedingungen bezüglich der Kostenneutralität und der kontinuierlichen Weiterentwicklung gestellt.

Daher enthält die finale Version des TARDOC erstens ein noch strengeres Konzept der Kostenneutralität. Der Korridor für die Kostenneutralität wurde reduziert: Die Obergrenze für die Kostenentwicklung in den drei Jahren nach Inkrafttreten beträgt nun maximal +2% jährlich. Zweitens enthält das Paket die vom Bundesrat geforderten Konzepte, die die Weiterentwicklung des TARDOC nach dem Inkrafttreten detailliert beschreiben. Der TARDOC soll per 1. Januar 2025 in Kraft treten und damit den längst veralteten TARMED ablösen.

Massgebliche Verbesserungen und Vorteile des TARDOC gegenüber dem TARMED:
• Deutliche Erhöhung der Sachgerechtigkeit der Einzelleistungs-Tarifstruktur.
• Aktualisierte Parameter des Tarifierungsmodells: Die für Berechnung der Taxpunkte notwendigen Parameter wurden mittels verwertbarer Statistiken und Erhebungen herangezogen oder Annahmen auf Basis des heutigen Wissensstands getroffen.
• Aktualisierung der Anwendungs- und Abrechnungsregeln der Tarifstruktur: eine einheitliche Anwendung ist sichergestellt, setzt Anreize für die effiziente Leistungserbringung und beugt missbräuchlicher Abrechnung vor.
• curafutura und FMH haben ein Kostenneutralitätskonzept zur Erfüllung der Vorgaben des Art. 59c Abs. 1 lit. c KVV über die Einführungsphase von drei Jahren verbindlich vereinbart.
• Neu verhandelter Grundvertrag KVG bildet das Fundament.

127 gemeinsame Studienratings im ersten Jahr der OLU-Plattform erstellt

Immer mehr Krankenversicherer koordinieren sich im Bereich Off-Label Use von Medikamenten dank einer Plattform, auf der gemeinsam Studienratings erarbeitet werden. Ein Jahr nach der Inbetriebnahme dieser Plattform zieht curafutura eine erfreuliche Bilanz. Zu den fünf Gründungsmitgliedern sind fünf weitere Versicherer dazugekommen; insgesamt vertreten die Mitglieder der OLU-Plattform heute 83% der Versicherten in der Schweiz. Bis jetzt sind 127 Studienratings erarbeitet worden. Diese unterstützen die Vertrauensärzte bei der Beurteilung von Kostengutsprachen für Medikamente, die nicht kassenpflichtig sind. Die Ärzte profitieren dabei von einer einheitlichen Grundlage für ihre Entscheide.

Immer mehr Versicherer gehen in die Offensive und schliessen sich einer innovativen Lösung im Bereich Off-Label Use von Medikamenten an. Diese hat zum Ziel, die Vertrauensärzte der angeschlossenen Versicherer bei der Beurteilung der Gesuche zu unterstützen. Das Positive: Die Plattform bietet breit abgestützte wissenschaftliche Studienbeurteilungen für die Bearbeitung von Gesuchen nach Art. 71 a-d KVV. Inzwischen haben sich neben den Vertrauensärzten von CSS, Helsana, Sanitas, KPT und SWICA auch jene von Concordia, Groupe Mutuel, Visana, Sympany und Atupri der Plattform angeschlossen. Die 10 Versicherer bringen es auf eine Versichertenabdeckung von 83 Prozent in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Und die Initianten der Plattform sind offen für weitere Versicherer, die sich der Plattform anschliessen möchten.  

Rating-Klassifizierung von A bis D

Start der Plattform für den Off-Label Use war vor einem Jahr. Inzwischen sind über 120 Studienratings auf der digitalen Plattform hinterlegt. Die wissenschaftlich fundierten und breit abgestützten Studienratings, die mit den Buchstaben A bis D versehen werden, wobei eine D Ablehnung bedeutet, unterstützen die Vertrauensärzte bei der Beurteilung von Einzelfallgesuchen für Medikamentenbehandlungen unter Berücksichtigung von Art. 71 a-d KVV.

Die Plattform enthält die publizierten klinischen Studien zu den Wirkstoffen mit der Nutzenbeurteilung und die entsprechende Dokumentation im klinischen Kontext. Die von den involvierten vertrauensärztlichen Diensten gewählte Methode sorgt dafür, dass die Beurteilung des klinischen Nutzens eines Wirkstoffs immer im gleichen Kontext steht und auf derselben wissenschaftlichen Basis bewertet ist. Die Studienlage ist damit ausgewogen und objektiv.

Gewinn für alle Akteure

«Insgesamt ist es eine Win-Win-Situation für alle Akteure», sagt curafutura-Direktor Pius Zängerle. Der Patient habe die Sicherheit, dass sein Einzelfallgesuch auf Basis gemeinsam erarbeiteter, koordinierter und wissenschaftlich fundierter Studienratings basiere. Die Arbeit des Vertrauensarztes sei befriedigender, weil das hinterlegte Wissen laufend ausgebaut werde und die Vertrauensärzte dadurch effizienter arbeiten könnten. Die Prämienzahlenden und die Patienten können darauf vertrauen, dass die Versicherer ihre Beurteilung auf der Basis wissenschaftlicher Grundlagen, unter Einhaltung der gesetzlichen Grundlagen von Art. 71a-d KVV und unter Einbezug der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit fällen.

Die Artikel 71 a-d KVV regeln die Vergütung von Arzneimitteln durch die Grundversicherung (OKP) für Off-Label-Therapien im Einzelfall. Der so genannte Off-Label Use soll in erster Linie den Zugang zu Arzneimitteln sicherstellen, die nicht zugelassen oder nicht auf der Spezialitä-tenliste (SL) aufgeführt und für folgende Behandlungen vorgesehen sind: schwere oder tödlich verlaufende Krankheiten und chronische gesundheitliche Beeinträchtigungen. Es handelt sich um Arzneimittel, die in folgenden Fällen von der OKP vergütet werden:

• Auf der SL aufgeführt, der Einsatz des Arzneimittels ist jedoch ausserhalb der von Swiss-medic genehmigten Fachinformation.
• Nicht in die SL aufgenommen, aber von Swissmedic zugelassen.
• Von Swissmedic nicht zugelassen, aber aus einem Land mit einem von Swissmedic als gleichwertig anerkannten Zulassungssystem importiert und dort für die entsprechende Indikation zugelassen.

Die auf der Plattform der Versicherer abgelegten Studienratings beinhalten die Beurteilung über ein bestimmtes Medikament, das im Bereich Off-Label Use zum Einsatz kommen muss. Die Beurteilung wird mit den Buchstaben A bis D angegeben, wobei D Ablehnung bedeutet.

In den letzten Jahren haben immer mehr Patientinnen und Patienten von der Möglichkeit des Einsatzes im Off-Label Use profitiert, vor allem im Bereich von Krebstherapien. 2019 wurden 38’000 Gesuche behandelt. Für 2022 wird die Anzahl Gesuche auf 50’000 geschätzt. In den letzten Jahren wurden 80 Prozent aller Gesuche bewilligt, ungefähr 20 Prozent wurden abgelehnt.

Die Vertrauensärzte kommen aus unterschiedlichen Fachgebieten. Ihr Auftrag ist es, unvoreingenommen, neutral und auf Basis von Artikel 71 a-d KVV sowie unter Beizug der Studien-ratings ihre Beurteilung vorzunehmen. Sie geben ihre Empfehlung ihrem Versicherer weiter. Der einzelne Fall wird im Detail beurteilt. Es stellen sich Fragen wie: Sind die Voraussetzungen erfüllt? Wie sieht die Studienpopulation aus? Was waren Vorbehandlungen des Patienten oder der Patientin und bestehen Chancen auf einen bedeutenden Therapieerfolg (Grundlage Studienrating).

Der veraltete Arzttarif TARMED hat sein Lebensende erreicht. Das sieht auch die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-S) so. curafutura wertet dies als Vertrauensbeweis für die neuen Tarifwerke und als Botschaft, nicht in etwas völlig Veraltetes zu investieren. Denn der Fahrplan für die Ablösung des TARMED steht. Es ist an der Zeit, dass der ambulante Arzttarif wieder zeitgemäss und sachgerecht ist.

Gemäss Bundesgesetz über die Krankenversicherung obliegt die Verhandlung der Tarife den Tarifpartnern. Das sieht die SGK-S genauso. Sie sieht davon ab, die Möglichkeit für Tarifeingriffe in den TARMED durch den Bundesrat weiter auszuweiten. Dies nimmt curafutura erfreut zur Kenntnis und wertet es als positives Zeichen für die Tarifpartnerschaft. Nun ist es höchste Zeit, die neuen Tarife für den ambulanten Arztbereich an den Start zu bringen. Die Ablösung des veralteten TARMED ist längst überfällig. Der ambulante Einzelleistungstarif TARDOC ist in Kürze finalisiert und zur Einreichung an den Bundesrat bereit. curafutura orientiert sich dabei am Fahrplan, der gemeinsam mit allen im ambulanten Tarifbüro OAAT vertretenen Tarifpartnern beschlossen wurde, mit dem Ziel, den TARMED spätestens per 1. Januar 2025 abzulösen.

Keine weiteren subsidiären Kompetenzen

Positiv zu werten ist auch die Botschaft, wonach die SGK-S von weiteren subsidiären Kompetenzen für die Bundes- und Kantonsbehörden absieht. Die SGK-S scheint sich der Gefahr einer zu starken Steuerung durch die Behörden bewusst zu sein und sieht offenbar auch hier die Tarifpartner als die richtigen Entwickler für Tariflösungen.

Das Nein der SGK-S zum vom Nationalrat vorgeschlagenen Systemwechsel bei den Laboratorien ist bedauerlich. Dies vor allem deshalb, weil die Kosten just in jüngster Zeit bei den Labors stark angestiegen sind. Wir werden uns hier weiter einbringen, damit die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.

curafutura wartet nun auf die weitere Debatte in der Frühlingssession. Wichtigstes Ziel muss es sein, nicht über Mass durch den Staat zu regulieren, sondern gute Reformen wie den TARDOC umzusetzen, die die Kostensteigerung eindämmen ohne die Tarifpartnerschaft unnötig zu schwächen.

Der Ständerat tritt auf das Gaspedal und macht bei EFAS vorwärts. Die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen kann in die Differenzbereinigung. Damit dürfte das Geschäft – hoffentlich – bald in die Schlussrunde gehen. Kommt EFAS durch, ist ein Meilenstein für die Gesundheitslandschaft Schweiz erreicht, von dem in erster Linie die Prämienzahlerinnen und -zahler profitieren.

Drei Jahre nach dem Nationalrat hat der Ständerat die wohl grösste Reform seit Einführung des KVG, die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS), fertig beraten. Damit geht das Geschäft jetzt in die Differenzbereinigung. curafutura mit den Mitgliedern CSS, Helsana, Sanitas und KPT hat die Vorlage seit langem als treibende Kraft vorangetrieben. Umso erfreuter ist der Verband über den Fortschritt, nachdem es eine Zeit lang danach aussah, als würde das Geschäft stillstehen. EFAS bringt zahlreiche Vorteile für das Gesundheitssystem. Unter anderem erhält die integrierte Versorgung weiteren Schub, und das ist sowohl für die Patientinnen und Patienten sowie für die Prämienzahlerinnen und -zahler zu begrüssen. Studien gehen von einem Kostendämpfungseffekt von zwischen 1 bis 3 Milliarden Franken aus. Aber auch insgesamt wird das Gesundheitssystem berechenbarer, weil die Leistung dort erbracht wird, wo sie den Prämienzahlenden respektive Patienten aus gesundheitlicher Sicht am meisten dient.

curafutura setzt sich für eine schlanke Vorlage ein

Unschön: Die Kantone sollen im stationären Bereich weiterhin Rechnungen kontrollieren. Damit wird jede stationäre Leistung doppelt kontrolliert, was unnötig kompliziert und auch Ressourcen fressend ist, denn bei der Rechnungskontrolle handelt es sich um das eigentliche Kerngeschäft der Versicherer. Nicht im Sinne der Versicherer ist auch die Integration der Langzeitpflege in EFAS. curafutura hätte die Langzeitpflege lieber in einem zweiten Schritt, auf der Basis von soliden Grundlagen eingeführt gesehen.

Insgesamt bleibt der Verband zuversichtlich, dass die Vorlage in der Differenzbereinigung noch effizienter ausgestaltet wird und setzt sich auch weiterhin dafür ein.

Gaël Saillen, Leiter Public Affairs Helsana.

«Ambulant vor stationär» mache sowohl qualitativ als auch in Bezug auf die Kosten Sinn, sagt Gaël Saillen von der Helsana. Um das Potenzial dieser Verschiebung auszunutzen, müsse die Finanzierung jedoch der neuen Realität angepasst werden.

Unter curafutura vereinen sich die innovativen Krankenversicherer. Was heisst das für Sie?

Es gibt einen Aspekt, der die Diskussion um das Gesundheitswesen dominiert: Die Kosten. Mindestens ebenso wichtig ist jedoch der qualitative Aspekt. In der Gesundheitswelt geht der Versorgungsansatz immer mehr in Richtung einer besseren Integration der verschiedenen Leistungserbringer, einer besseren Koordination der verschiedenen Gesundheitsakteure. An dieser Schnittstelle brauchen wir dringend einen Innovationsschub: Wir haben auf der medizinischen Seite eine stetige Entwicklung und gleichzeitig ein Finanzierungssystem, das stagniert.

«Ambulant vor stationär» ist ein Merksatz, der immer wieder genannt wird…

… und bei dem das System der Finanzierung dringend den neuen Realitäten angepasst werden muss. Das ist die Innovation, der wir den Weg ebnen wollen.

Das heisst?

Heute werden die stationären Kosten zu 55 Prozent durch die Kantone und zu 45 Prozent durch die Krankenversicherungen getragen. Die ambulanten Kosten hingegen werden vollständig durch die Krankenversicherer gedeckt. Hier entsteht ein falscher Anreiz. Denn plötzlich ist es attraktiver, einen Eingriff stationär vorzunehmen, obschon es ambulant günstiger wäre.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Einen Leistenbruch zu operieren, kostet stationär 4760 Franken, ambulant sind es 3030 Franken. Für den Versicherten selber ist es hingegen teurer, wenn er sich ambulant operieren lässt. Dieses Beispiel zeigt ziemlich anschaulich, dass ein Fehler im System vorliegt.

Was ist die Lösung?

Die Leistungen einheitlich zu finanzieren. Das heisst: Die Kantone würden sich zu gleichen Anteilen an der Mitfinanzierung der ambulanten und stationären Leistungen beteiligen. Dann könnten die ambulanten Behandlungen wirklich ihren Kosten dämpfenden Effekt entfalten. Diese Erkenntnis ist nicht neu: Der entsprechende Vorstoss im Parlament wurde vor der Geburt meines ältesten Sohns lanciert. Und der ist inzwischen 12.

Das Gesundheitssystem ist stets in Bewegung: Es gilt immer zwischen den verschiedenen Interessen abzuwägen.

Und wie lange wird es noch dauern, bis er umgesetzt wird?

Meine Hoffnung aus Sicht aller Versicherten ist: Bevor mein Sohn volljährig wird (lacht). Viele medizinische Behandlungen verschieben sich in Richtung ambulant. Bloss erfolgt diese Verschiebung auf dem Rücken der Versicherten. Wenn im ambulanten Bereich die Kantone  mitfinanzieren, dann entsteht ein echter Mehrwert. Auf Seiten der Kosten und auf Seiten der Qualität.

Wir reden jedes Jahr von steigenden Gesundheitskosten.

Das stimmt. Und da hätten wir eine Massnahme, die sich sofort auf die Kosten auswirken würde.

Woran harzt es?

Wir sprechen über eine wichtige Änderung des Finanzierungssystems, die eine gewisse Komplexität mit sich bringt. Solche Veränderungen brauchen viel Zeit. Nur schon, weil zahlreiche Akteure davon betroffen sind, die alle ihre Argumente und Interessen einbringen. Und dann geht es um Steuergelder, die sorgfältig und überlegt eingesetzt werden sollen. Diese Interessen auf einen Nenner zu bringen, Brücken zwischen den verschiedenen Akteuren zu bauen, ist viel Arbeit. Spannende Arbeit, die Ausdauer erfordern.

Eher Langstrecken- als Sprintrennen: Die Arbeit an den Veränderungen im Gesundheitswesen brauchen Ausdauer und Zeit.

Frustrierende Arbeit auch? Wie motivieren Sie sich?

Wenn die neuen Prämien kommuniziert werden, dann ist mir das Motivation genug… Mir gefällt es, an solchen Projekten zu arbeiten, Vertrauen zwischen den verschiedenen Akteuren herzustellen. Wenn zum Beispiel die Kantone heute auf einer doppelten Kostenkontrolle bestehen – ein Punkt, der der einheitlichen Finanzierung noch im Weg steht – , dann ist es uns Versicherern nicht gelungen aufzuzeigen, dass wir sehr sorgfältig mit den Prämiengeldern umgehen.

À propos steigende Prämien: Manchmal erscheint es, als würde man den stetigen Kosten ohnmächtig gegenüberstehen. Müsste man nicht radikaler das System verändern?

Ich würde beides verneinen. Es gibt grosse Anstrengungen, um die Kosten zu dämpfen und viele von ihnen zeigen auch Wirkung. Man darf bei der ganzen Kostendiskussion nicht vergessen, wofür wir so viel Geld ausgeben: Für eine ausgezeichnete Gesundheitsversorgung. Die Sache ist zu komplex, um einfach zu sagen, es braucht einen radikalen Systemwechsel.

Wo soll man also ansetzen?

Wir müssen die integrierte Versorgung vorantreiben. Weil diese die Gesundheitskosten generell senkt. Und hier haben wir als Versicherer wertvolles Fachwissen, das wir einbringen können und wollen.