Der Luzerner Konrad Graber dürfte vielen bekannt sein. Er war von 2007 bis 2019 Ständerat des Kantons Luzern und hier unter anderem in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit auch als Präsident tätig. Er war aber auch bis im April 2023 Verwaltungsratspräsident von Emmi und in früheren Jahren im Verwaltungsrat der CSS.
Wenn wir zurückschauen und an die Anfangszeit denken, so kommen wir nicht am ersten Präsidenten von curafutura vorbei, dem heutigen Bundesrats Ignazio Cassis. Er sagte 2014 gegenüber den Medien zur Gründung von curafutura: «Mit mehr als 40 Prozent der Versicherten sind wir gross genug, um das Gesundheitswesen beeinflussen zu können. (…).» Die Leistungserbringer dürften sich ob der Präsenz von curafutura freuen, da sie mit einem Partner verhandelten, der offen spreche und Vorschläge nicht im Vornherein ablehne. Es gebe Grund zur Hoffnung, weil die Zielsetzungen mit vielen Leistungserbringern identisch seien.
Heute, 10 Jahre später, schauen wir in der Tat mit Stolz auf unsere Positionierung im Gesundheitswesen und auf das Geleistete. Nach zehn Jahren harter Arbeit sind unsere Reformziele in Reichweite.
Ein Überblick
Der neue Arzttarif TARDOC, den wir zusammen mit der FMH, der MTK und der SWICA entwickelt haben, und der von Santésuisse und H+ anerkannt wird, ist so weit gereift, dass er theoretisch morgen eingeführt werden könnte. Wir werden ihn dieses Jahr gemeinsam mit den Tarifpartnern dem Bundesrat zur Genehmigung übergeben – zusammen mit den Pauschalen – wenn alles nach Fahrplan des Tarifbüros und der Tarifpartner läuft. Damit können wir per 2025 endlich den nicht mehr sachgerechten und völlig veralteten TARMED ersetzen durch einen neuen, aus Einzelleistungen und Pauschalen kombinierten neuen Arzttarif. Vor allem Hausärzte, Kinderärzte und Kinderspitäler dürfen dann endlich aufatmen.
Die einheitliche Finanzierung EFAS ist in den Köpfen von Verbänden, Politikern, Kantonen, Experten und Medien so weit verankert, dass wir zuversichtlich sind: Diese wichtige Reform wird kommen. 14 Verbände, darunter nebst FMH, pharmasuisse und H+ auch economiesuisse, stehen dahinter. Die Frage ist nur noch, kommt der EFAS-Entscheid des Parlaments in diesem oder erst im kommenden Jahr? Ist es so weit, fällt endlich der Fehlanreiz weg, dass wir ambulante und stationäre Leistungen unterschiedlich finanzieren und unter Umständen eine Behandlung auf Grund der Finanzierung auf die eine oder andere Art erfolgt. Die Prämienzahlenden dürfen sich freuen. Denn mit EFAS finanzieren auch die Kantone die ambulanten, mengenmässig immer öfters zu Anwendung kommenden ambulanten Leistung zu etwa einem Viertel mit.
curafutura hat sich stark vernetzt
Wir haben uns in den vergangenen Jahren aber auch national stark vernetzt. Heute sind wir auf dem Polit-Parkett ein gefragter Partner und in allen entscheidenden nationalen Gremien für Tarife und Daten eine etablierte Grösse in der Gesundheitspolitik. Aktuell erhalten wir viel Lob von anderen Verbänden für die konstruktive Zusammenarbeit. Das freut mich.
In meiner über 8-jährigen Tätigkeit bei curafutura bin ich oft gefragt worden, warum es zwei Verbände braucht. Das führt automatisch zur Rechtfertigung. Muss es aber nicht, sondern kann völlig werteneutral positiv kommentiert werden. Erstens: Weil nicht alle Versicherer die gleiche DNA haben, was Auswahl bietet. Zweitens: Weil zwei Verbände den Wettbewerb ankurbeln und sich im besten Fall in der strategischen Ausrichtung ergänzen. Und das wiederum, womit wir bei drittens sind, führt zwangsläufig dazu, dass Reformen gelingen können, wenn man sie zulässt, weil die Notwendigkeit besteht, endlich aus der Blockade heraus- und voranzukommen.
Wo stünden wir heute ohne curafutura?
Meine wichtigste Antwort aber gegenüber meinen Gesprächspartnern ist jeweils eine Gegenfrage: Wo stünden wir heute ohne curafutura? Wo wären der neue Arzttarif, die einheitliche Finanzierung EFAS und die Margenrevision? Wo wären wir bei den Psychologischen Psychotherapien, wo wir innert kürzester Zeit eine Tarifstruktur entwickelt haben, die jetzt zur Anwendung kommt. Gäbe es eine Plattform mit Studienratings für KVV Art. 71a – 71d im Bereich Off-Label-Use für die Beurteilung im Einzelfall bei Medikamenten, die nicht auf der Liste der von der Grundversicherung zu zahlenden Medikamente ist?
Schulterzucken und Schweigen: Weil ich recht habe?
Ich erhalte auf meine Fragen meist ein Schulterzucken? Schweigen, weil ich recht habe? Oder Schweigen, weil die Antwort schwierig ist. Schliesslich wissen wir nicht, wo wir ohne curafutura stünden.
Unser neuer Präsident Konrad Graber, ein äusserst erfahrener Politiker und bekannt als Brückenbauer, sagte gegenüber Medien auf die Frage, was sein Ziel mit curafutura anbelange: Er wolle die starke Position von curafutura als wichtiger Akteur weiter auszubauen. Er werde sich dafür einsetzen, die Effizienz des Gesundheitssystems zu verbessern um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen hoher Qualität der Leistungen und einer angemessenen Kostenentwicklung zu wahren.
Dem, liebe Leser, gibt es nicht viel hinzuzufügen. Es ist Zeit, Ihnen nach 10 Jahren intensivster Verbandsarbeit für Ihr Vertrauen in curafutura zu danken. Und anzustossen auf eine weiterhin kooperative, transparente und zukunftsgerichtete Zusammenarbeit für ein modernes Gesundheitssystem.
Wie ist es dazu gekommen? Zum grössten Teil aufgrund des politischen Drucks. Aus Sorge über die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen haben der Bundesrat und das EDI, aber auch das Parlament die Kostenneutralität zum Alpha und Omega dieser Tarifrevision gemacht.
Diese Fokussierung ist nachvollziehbar.
Einerseits ist der TARMED mit einem jährlichen Leistungsvolumen von 12 Milliarden Franken und damit einem Drittel der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung OKP nebst dem Spitaltarif (stationär) der bei weitem grösste Tarif im Gesundheitssystem. Da es sich damit um einen «systemrelevanten» Tarif handelt, möchte man bei einer Änderung solide Garantien haben; viele sorgen sich, mit dem Schritt einer Revision den Zauberlehrling zu spielen.
Andererseits gibt es eine Akzentuierung auf das Thema. Während derzeit verschiedene Ideen im Umlauf sind, die sich mit Kostenplanung befassen (Kostensteuerung und Kostenziele; Kostenbremse-Initiative), werden deren Befürworter natürlich von der Aussicht auf eine kostenneutrale Einführungsphase des neuen Arzttarifs verführt. Die Kostenneutralität bringt nämlich per Definition eine gewisse Vorhersehbarkeit der Kostenentwicklung mit sich, die eigentlich von Volatilität geprägt ist. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit zeigt sich auch in den Forderungen des Bundesrates, der die Tarifpartner FMH, curafutura und SWICA aufgefordert hat, den Korridor des TARDOC-Kostenneutralitätskonzepts enger zu fassen. Das haben wir gemacht. Die Obergrenze des Korridors für die Kostenentwicklung wurde von ursprünglich +3 % pro Jahr auf +2 % gesenkt.
Kostenneutralität muss überall mit dem gleichen Massstab beurteilt werden
Die Hartnäckigkeit – manche würden sagen Strenge – des Bundesrates in der Frage der Kostenneutralität des TARDOC findet sich auch in den Forderungen an die ambulanten Pauschalen wieder.
In diesem Sinne begrüssen wir die Erklärungen des EDI und des BAG, wonach das Kriterium der Kostenneutralität für alle gleichermassen gilt. Das Wiederholen dieser Forderung mag Aussenstehenden unnötig erscheinen, ist aber angesichts der jüngsten Erklärungen von H+ vermutlich nicht überflüssig. Der Dachverband der Spitäler äusserte sich in einem Newsletter etwas gar leichtfertig, liess aber tief blicken: „Wenn beide Tarifstrukturen gleichzeitig eingereicht und genehmigt werden, entfällt die Phase der dynamischen Kostenneutralität.“ Dies ist natürlich nicht der Fall. Sowohl der TARDOC als auch ambulante Pauschalen müssen eine statische und eine dynamische Kostenneutralität gewährleisten. Beim TARDOC wird diese Phase mindestens drei Jahre dauern.
Finden die Spitäler den Mittelweg?
Wir erwarten daher mit Interesse die Vorlage des endgültigen Konzepts der Kostenneutralität für die ambulanten Pauschalen. Die Spitäler werden sich auf ein verbindliches Konzept einigen müssen, das weit hinter ihren Forderungen nach einer allgemeinen Tariferhöhung von 5% zurückbleibt. Hinzu kommt die Erwartung der Universitätsspitäler, dass die Lösung ihrer Probleme in einer deutlichen Erhöhung des Tarifs, also nicht in einer Steigerung der Effizienz zu finden ist.
Bald werden wir mehr wissen. Denn die im Rahmen der Organisation Ambulante Arzttarife (OAAT) festgelegte Frist für die Abgabe von TARDOC und der ambulanten Pauschalen, der 30. Juni 2023, naht. Das ist eine gute Nachricht. Jeder Schritt in Richtung Revision des Arzttarifs kann nicht schnell genug kommen.
Das realisieren wir immer wieder dann, wenn wir mit Haus- und Kinderärzten reden, von nicht sachgerechten Tarifen in der Grundversorgung hören. Oder wenn wir uns mit Psychiatern austauschen. Oder wenn man über Unter- und Übertarifierung spricht und die gravierenden Auswirkungen veralteter Tarife auf die Versorgung bzw. die daraus entstandene Fehlversorgung sieht.
Die Gesundheitsversorgung der Schweiz soll nicht um neue Netzwerke zur koordinierten Versorgung ergänzt werden. Stattdessen will man die bestehenden, heute bereits erfolgreichen alternativen Versicherungsmodelle aufwerten. curafutura begrüsst diesen umsichtigen Entscheid, für den sich der Verband vehement eingesetzt hat. Auch bei den Eckwerten zur einheitlichen Finanzierung EFAS scheint sich die nationalrätliche Gesundheitskommission (SGK-N) der Tragweite der Beschlüsse bewusst und sucht nach möglichst langfristigen, tragfähigen Lösungen. Die Stossrichtung geht in die richtige Richtung, wenngleich curafutura die Rechnungskontrolle klar bei den Versicherern sieht und für die schlankste aller Lösungen plädiert.
Gutes Belassen, Neues nur dort einführen, wo es wirklich sinnvoll ist und richtungsweisende Entscheide zwar festlegen, aber noch einmal darüber schlafen. So könnte man die Entscheide der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) zum Kostendämpfungspaket 2 und zur einheitlichen Finanzierung EFAS interpretieren. curafutura wertet es positiv, dass die Integration der Pflege in die einheitliche Finanzierung EFAS an Bedingungen geknüpft werden soll. Denn ohne Kostentransparenz ist die Integration der Pflege eine Blackbox. Mit Transparenz über die OKP-pflichtigen Kosten kann die Pflege gewinnbringend für das System integriert werden.
Auch bei der Rechnungskontrolle gehen die Entscheide in die richtige Richtung. So erachtet es curafutura als zentral, dass die Rechnungskontrolle Hoheitsgebiet der Versicherer und ihr Kerngebiet bleibt. Der jetzige Vorschlag will den Kantonen zwar Zugang zu den Daten des Spitalbereichs gewährleisten, jedoch soll klar verhindert werden, dass es auf dem Buckel der Patientinnen und Patienten zu Blockaden aufgrund der Verweigerung der Kostenübernahme kommt.
Dass die SGK-N ihren Entscheid noch einmal in aller Ruhe überdenken und erst an einer nächsten Sitzung final über EFAS entscheiden will, zeugt von Umsicht. Die Kommission scheint sich der Tragweite ihres Beschlusses bewusst. Dennoch ist es für curafutura ein Wehrmutstropfen, da die Debatte schon lange läuft und diese wichtige Reform jetzt endlich in trockene Tücher gebracht werden muss.
Keine unnötige zusätzliche Regulierung der Netzwerke
Erfreut zur Kenntnis nimmt curafutura auch den zweiten wichtigen Entscheid im Zusammenhang mit dem Kostendämpfungspaket 2 und hier besonders im Zusammenhang mit den integrierten Netzwerken. Die Kommission lehnt die Schaffung einer neuen Kategorie von Leistungserbringern ab, die mit der Verwaltung der Netzwerke beauftragt worden wäre. Diese Massnahme hätte nur zu einer schwerfällig wirkenden Regulierung geführt, ohne einen neuen Vorteil zu bringen. «Wir sind davon überzeugt, dass es nicht notwendig ist, einen Bereich zu regulieren, der bereits sehr gut funktioniert, da sich die mit alternativen Versicherungsmodellen verbundenen Netzwerke seit Jahren kontinuierlich und gut entwickeln», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura.
Die SGK-N hat den Erfolg und die Vorteile der aktuellen Situation gut erkannt, denn sie fordert anstelle von neuen Leistungserbringern, die Entwicklung alternativer Versicherungsmodelle zu erleichtern, denen sich die Versicherten freiwillig anschliessen (u.a. Ermöglichung von Mehrjahresverträgen und neue Berechnung der Prämienrabatte).
Insgesamt zeichnet sich bei den Biosimilars für 2022 ein überdurchschnittliches Wachstum von gut 13 % ab. Das ist positiv für die Kostendämpfung im Schweizer Gesundheitswesen, da Biosimilars im Vergleich zu Originalen eine ebenbürtige Qualität und Wirksamkeit aufweisen, dies jedoch zu einem deutlich tieferen Preis. Dieser Schritt in die richtige Richtung reicht aber bei weitem nicht aus: Solange Biosimilars nicht häufiger verschrieben werden, bleibt ein riesiges Einsparpotenzial unbenutzt. So werden nach wie vor rund 87 Millionen Franken unnötig ausgegeben – jährlich! Umso wichtiger ist es, dass jetzt finanzielle Fehlanreize der Vertriebsmarge zeitnah eliminiert werden.
Untersucht wurde das Verschreibungsverhalten der Substanz Adalimumab von Rheumatologen, Gastroenterologen und Dermatologen hinsichtlich Gebrauch von Biosimilars bei therapienaiven Patienten. Ausgewertet wurden die Verschreibungsdaten durch die Berufsgenossenschaft der Schweizer Apotheker, OFAC. Dabei erwiesen sich die Rheumatologen als vorbildlich für die Anwendung von Biosimilars: Rund 68% aller neu eingestellten Adalimumab-Patienten wurden 2022 ein Biosimilar verschrieben, Tendenz steigend. Im Vergleich dazu besteht bei Gastroenterologen und Dermatologen mit durchschnittlich 39% bzw. 24% Biosimilar-Verschreibungen bei neu eingestellten Patienten noch ein deutliches Steigerungspotenzial – und damit auch namhafte Einsparmöglichkeiten.
Ziel muss es sein, dass weitere Fachspezialisten nachziehen. Denn das Einsparpotenzial von Biosimilars ist weiterhin gross. Wie der von biosimilar.ch, curafutura und Intergenerika geschaffene Biosimilar-Barometer Schweiz zeigt, sind im vergangenen Jahr Zusatzkosten von 87 Millionen Franken zu Handen der obligatorischen Grundversicherung entstanden, weil nicht flächendeckend Biosimilars verschrieben wurden.
Immerhin lässt sich trotz nach wie vor zurückhaltender Verschreibungspraxis ein Mengenwachstum des Biosimilar-Markts um 30% feststellen. Im Jahr 2022 wurden in der Schweiz 39 Biosimilars vermarktet, von denen insbesondere die 7 Biosimilars des allzeit umsatzstärksten Biologikums Adalimumab nennenswert sind. Sie konnten seit November 2019 bereits etliche Millionen Franken an Einsparungen bewirken, diese liegen im 2022 allein bei über 10 Mio CHF zu Gunsten der obligatorischen Grundverischerung.
Das Ziel eines flächendeckenden Einsatzes von Biosimilars ist jedoch noch weit entfernt. So lassen sich auffallend grosse Unterschiede in der Spitallandschaft beobachten. Zum Beispiel werden Biosimilars von Infliximab in der Spitalregion Bern/Solothurn nicht einmal halb so häufig wie im Tessin oder in der Romandie verwendet.
Fehlanreize wie das aktuelle Margensystem der Medikamente haben bisher eine breitere Anwendung von Biosimilars und Generika verhindert. Das Eidgenössische Department des Innern hat dies erkannt und schlägt im Rahmen der aktuell geplanten Verordnungsänderungen bei gleichen Wirkstoffen die gleiche Margenhöhe vor. Intergenerika und curafutura unterstützen diesen Teil der Reform in Kombination mit einer seit langem geforderten Revision der Margenordnung zur Elimination der Margenunterschiede zwischen Originalpräparaten und Biosimilars bzw. Generika.
Wird die Einführung eines preisunabhängigen Margensystems für gleiche Wirkstoffe zeitnah umgesetzt, können bis 2030 insgesamt Mehrkosten von rund 1 Milliarde Franken verhindert werden.
Es ist doch interessant: Im vergangenen Jahr konnten die Schwarzmaler unter den Gesundheitsexperten nicht oft genug betonen, dass sich die Prämienerhöhungen für das Jahr 2023 in einem zweistelligen Prozentbereich bewegen werden. Geworden sind es 6.6 Prozent. In diesem Jahr verkehrt sich die Diskussion ins Gegenteil. Aus dem Fokus auf die Kosten wird der Fokus auf die Versorgung mit den entsprechenden Hiobsbotschaften. Das Unschöne daran: In beiden Fällen schürt man Ängste bei der Bevölkerung.
Im Fall der Kosten wissen wir inzwischen, dass wir uns im Jahr 2022 ab der zweiten Jahreshälfte wieder auf dem Vor-Corona-Niveau eingependelt haben. Die Nachfrage nach Leistungen ist zwar ungebrochen und in bestimmten Bereichen gar angestiegen. Trotzdem ist das Wort «Kostenexplosion» deplatziert. Im vergangenen Jahr hatten wir in der OKP eine Kostensteigerung pro Person von 2.6 %. Das ist das Niveau, das wir über die vergangenen 10 Jahre sehen (+2.8%). Und verglichen mit dem Massstab der Expertengruppe des EDI, die von maximal 2.7 % Kostensteierung in der OKP pro Jahr spricht, bevor Massnahmen zur Kostendämpfung ergriffen werden sollen, bewegen wir uns im angepeilten Bereich.
Wachsamkeit ist auch beim Wort «Versorgungsengpass» angebracht. Haben wir einen Versorgungs- oder in bestimmten Bereichen einen Liefererengpass? Je nachdem kommen andere Massnahmen zum Tragen. Ein Grossteil davon muss nicht neu erfunden werden. Schliesslich ist das Thema in den vergangenen Jahren in regelmässigen Abständen auf dem Polit-Parkett gelandet und jedes Mal wurde evaluiert, inwiefern der Massnahmenkatalog stimmt.
Wichtig erscheint mir, dass jeder die Verantwortung für seine ihm aufgetragene Funktion übernimmt. So hat das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) die Oberaufsicht über den Medikamentenbestand in den Pfichtlagern. Es führt auch eine laufend aktualisierte Liste mit zugelassenen und erhältlichen Humanarzneimitten. Darauf können die Leistungserbringer zugreifen. Der Arzt wiederum verschreibt das Rezept für seine Patienten. Die Apothekerin steht diesen beratend zur Seite – vor allem auch in Bezug auf die Frage nach der Abgabe eines Generikums oder Biosimilars. Bei Bedarf kann der Apotheker beim Arzt zurückfragen. Anders gesagt: Wir haben genügend Medikamente am Lager. Aber nutzen wir auch die vorhandenen Möglichkeiten aus und sind flexibel im Handeln?
Für Stirnrunzeln sorgt bei mir der Umstand, dass die Verknappung von Medikamenten mit zu tiefen Medikamentenpreisen und Sparrunden begründet wird. Die Schweiz ist betreffend guter Medikamentenversorgung, aber auch betreffend Preise an der Spitze aller europäischen Länder. Die Originalpräparate sind deutlich teurer und die Generika-Preise sind sogar doppelt so hoch wie im Ausland. Am Preis kann es also nur bedingt liegen.
Wie muss man nun das alles einordnen? Wie überall auf der Welt vermag man derzeit vor allem mit lauten, extremen Voten für Aufmerksamkeit zu sorgen. Wenig verwunderlich ob der Kommunikationsflut, die mit den sozialen Medien Einzug hielt. Differenzierte Töne sind weniger gefragt. Gerade die Schweiz ist allerdings in der Vergangenheit sehr gut mit wohlüberlegten Entscheiden gefahren. Wohin das Gegenteil führen kann, zeigt das Beispiel zur Zulassung ausländischer Ärzte, das unlängst im Parlament erneut thematisiert wurde. Dass ein Entscheid innert weniger Monate bereits wieder in Frage gestellt und umgestossen wird, darf nicht zur Tagesordnung werden. Sonst wird die Politik unglaubwürdig und das Vertrauen in den Rechtsstaat leidet – zum Nachteil von uns allen.
Viel wichtiger scheint mir daher, die angepeilten und von langer Hand geplanten Reformen bei den ambulanten Arzttarifen, die einheitliche Finanzierung EFAS sowie die Revision der Margen endlich final über die Ziellinie zu bringen. Das mag dramaturgisch zwar weniger medienwirksam inszeniert werden können, ist aber in der realen Welt umso effektiver.
In diesem Zusammenhang stellen sich mehrere Parlamentarier vor allem die Frage nach dem Zeitplan: Wann wird das Kapitel TARMED endlich abgeschlossen sein? So fragte Ständerat Benedikt Würth den Bundesrat, was getan werden könne, um das Manöver zu beschleunigen und die Revision des Arzttarifs so schnell wie möglich voranzutreiben. Sein Wunsch: Eine Revision des TARMED bereits auf den 1. Januar 2024.
Wie steht es um diese Forderung? Zunächst einmal ist zu betonen, dass die endgültige Version des TARDOC nun fertig ist. curafutura und die FMH haben die vom Bundesrat geforderten Anpassungen (Kostenneutralität und Konzepte zur kontinuierlichen Weiterentwicklung) vorgenommen und die endgültige Version am 17. Februar 2023 an die Organisation ambulante Arzttarife (OAAT) übermittelt (siehe Medienmitteilung). Dies bedeutet, dass der TARDOC nun jederzeit dem Bundesrat zur Genehmigung eingereicht werden kann.
Es ist geplant, diese Einreichung beim Bundesrat zusammen mit den ambulanten Pauschalen zu machen, wenn diese bis zum 30. Juni 2023 fertig sind. Die Pauschalen befinden sich derzeit in einer Vernehmlassung bei den Tarifpartnern. Diese Vernehmlassung wird lehrreich sein, was den Reifegrad des Projekts betrifft.
Die Vernehmlassung läuft bis Ende März 2023. Insbesondere wird die Meinung der Leistungserbringer, die mit den Pauschalen arbeiten werden, nämlich der Ärzte, von grosser Bedeutung sein. Nebst der Position des Dachverbands (FMH) wird auch die Position der medizinischen Fachgesellschaften sowie diejenige der einzelnen Spitäler entscheidend sein. Was den Standpunkt der Versicherer betrifft, so wird von dieser Seite die Frage der Kostenneutralität sorgfältig geprüft werden.
Wenn die in der Konsultation zu den ambulanten Pauschalen angesprochenen Punkte rechtzeitig angepasst werden können, können sich die verschiedenen Akteure auf das erste in der OAAT vorgesehene Szenario vorbereiten, d.h. eine gleichzeitige Einreichung des TARDOC und der Pauschalen an den Bundesrat zur Genehmigung. Sollten sich bei der Vernehmlassung hingegen grundlegendere Fragen ergeben, könnte sich das zweite Szenario abzeichnen, d.h. eine alleinige Einreichung des TARDOC an den Bundesrat zur Genehmigung.
Sollte sich dieses zweite Szenario am Horizont abzeichnen, hätten die gestern im Ständerat aufgeworfenen Fragen einen besonderen Klang. Denn wenn es Anfang April 2023 bereits wahrscheinlich ist, dass nur der TARDOC dem Bundesrat eingereicht wird, könnte das BAG, pragmatisch gesehen, bereits mit der technischen Prüfung des Genehmigungsgesuchs beginnen, ohne bis zur zweiten Hälfte des Jahres 2023 zu warten. Alles andere wäre eine Zeitverschwendung.
Es wird Aufgabe des Departements sein, sich zu positionieren, wenn Anfang April mehr über den Reifegrad der ambulanten Pauschalen bekannt ist. Bei ihrer Interessenabwägung wird es einerseits die Kapazitäten als Genehmigungsbehörde berücksichtigen müssen, andererseits aber auch die wachsende Unzufriedenheit der Leistungserbringer, die eine möglichst rasche Revision des TARMED fordern.
Bundesrat Berset will im Massnahmenpaket 2 die koordinierte Versorgung stärken, indem er sie durchreguliert. Das ist ein gefährlicher und völlig unnötiger Schritt. Die koordinierte Versorgung hat sich grossartig entwickelt und wird laufend besser. Gesetzliche Regeln würden diese Innovation abwürgen. Die Situation ist geradezu grotesk: Die aktivistische Politik ist besessen von stetigen Eingriffen und Vorschriften. Alain Bersets Amtsführung führt zu einer Reformwut, die noch längst nicht ausgestanden ist – und unter der wir Ärztinnen und Ärzte und das ganze System leiden.
An das katastrophale Qualitätssicherungsgesetz. Oder die notdürftige Zulassungsregulierung: Diese ist kaum in Kraft und muss bereits revidiert werden.
Die Massnahmen gefährden die Weiterentwicklung der hausärztlich koordinierten Versorgung mit einer Flut von Vorschriften, die bereits im Gesetzestext vernichtend sind. Kommt dann erst noch die Verordnung aus dem BAG dazu, dann wird die Erfolgsgeschichte der alternativen Versicherungsmodelle einfach erstickt. Netzwerke müssten dann nach einem durchregulierten Raster organisiert und zusammengesetzt sein. Alles würde schwerfällig und bewilligungspflichtig. Die Kantone müssten den Netzwerken mit abermals weiteren Auflagen kantonale Leistungsaufträge geben und ihre Qualität überprüfen. Das ist ein Albtraum für die koordinierte Versorgung. Sie konnte sich nur in einem freien Umfeld bis jetzt so hervorragend entwickeln.
Politik und Verwaltung reagieren auf unbefriedigende Zustände immer mit neuen Gesetzen und Verordnungen, die über das Ziel hinausschiessen. Alle gesundheitspolitischen Vorlagen der letzten Jahre legen davon ein trauriges Zeugnis ab. Die Verordnung zum neuen Heilmittelgesetz (VITH) erstickt mit ihren Auflagen das Aushandeln von Rabatten mit der Industrie. Das neue Qualitätsgesetz stockt wegen der realitätsfernen Auflagen in der Umsetzung und findet für die zur Verfügung stehenden Millionen kaum Projekte. Das Elektronische Patientendossier (EPD) bringt keinen Nutzen und muss den Spitäler und Leistungserbringer regelrecht reingeprügelt werden. Es wird auf der ganzen Linie scheitern. Die Zulassungsregulierung gefährdet die Versorgungssicherheit und wird zu einer Flut von juristischen Prozessen führen. Vieles wurde überstürzt eingeführt und verursacht nur Kosten und Ärger.
Die obligatorische Rechnungskopie an die Patienten. Sie wurde dem System ohne Realitätscheck aufgezwungen. Kein Intermediär und kein Praxisinformationssystem konnte das umsetzen. Viele ältere Patienten sind zudem verwirrt. Davon profitiert nur die Post: Sie kann Millionen von Briefen verschicken und die Leistungserbringer müssen es bezahlen.
Wir brauchen einerseits Ruhe in diesem Reformeifer und andererseits die Deblockierung wichtiger unbestrittener Reformwerke wie EFAS und TARDOC. Dafür reichen für die koordinierte Versorgung zwei minimal invasive Eingriffe: Seriös arbeitende Hausärztinnen in vertraglichen Netzwerken wollen nicht auf Listen aufgeführt werden, die dem Patienten gegenüber irreführenderweise als Hausarztmodell angepriesen werden. Sie müssen also die Möglichkeit haben, sich von den Listenmodellen streichen zu lassen (Art. 41 Abs. 4 KVG). Zudem bin ich dafür, dass das BAG mit der Prämienkontrolle bei den AVM aufhört. Versicherungen sollen ihre Prämien frei festlegen können (Art. 101 KVV).
curafutura lehnt die KVG-Änderungen ab, die der Bundesrat im Rahmen des zweiten Pakets zur Kostendämpfung vorschlägt. Es fehlt im Bericht des Bundesrats eine realistische Regulierungsfolgenabschätzung genauso wie eine konkrete Aussage zur Höhe der Kostenfolgen dieses Pakets. curafutura vermisst zudem eine sachlogische Unterteilung. Die primäre Zielsetzung des Pakets, nämlich die Kostendämpfung, wird verfehlt: Die vorgesehenen Anpassungen im KVG schränken einzig den Spielraum ein, den heute die Versicherten bei der Wahl ihrer Grundversicherung haben. Insbesondere verschlechtert die Vorlage die Rahmenbedingungen für eine Weiterentwicklung von neuen integrierten Versorgungsmodellen zuungunsten der Versicherten. Darüber hinaus schwächt sie die Tarifpartnerschaft und stellt einen weiteren markanten Schritt zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens dar. |
Gute Lösungen stossen schnell auf Interesse. Erst recht, wenn der Status Quo immer wieder Gegenstand von hitzigen Diskussionen ist. So wie es bei der Handhabung des Off-Label-Use in der Schweiz der Fall ist.
Negative Schlagzeilen zum Thema gibt es zuhauf. Und dies, obschon das jetzige System nach Ansicht von curafutura grundsätzlich zufriedenstellend ist. Für die Bewilligungspraxis beim Off-Label Use sind die Vorgaben klar definiert. Zusätzlich trägt seit vergangenem Jahr eine neue Plattform mit hinterlegten Studienratings zur flächendeckend einheitlichen Beurteilung der Einzelfallgesuche bei. Der Plattform haben sich bereits 10 Versicherer angeschlossen. Das entspricht einer Patientenabdeckung von über 80 Prozent.
Auch wenn viel vom Gesetz die Rede ist: Im Zentrum der Diskussion steht der Mensch.
Aufgabe der Krankenversicherer ist es dabei, NICHT das Schicksal der betroffenen Person in den Vordergrund zu stellen. Ihr Auftrag ist es, nach klar definierten Kriterien, die in Artikel 71a – 71d der Verordnung über die Krankenversicherung KVV festgelegt sind, nach einem Antrag auf Kostengutsprache den Ausnahmefall nüchtern zu beurteilen, inwiefern eine Medikation im Off-Label-Use vom Krankenversicherer im Einzelfall bezahlt werden darf.
Der Monitoring-Bericht aus dem Jahr 2019 des Bundesamtes für Gesundheit zeigt: Rund 80 Prozent der Einzelfallgesuche werden gutgeheissen. 20 Prozent werden abgelehnt. Letzteres kann sein, weil es sich nicht um eine lebensbedrohliche, schwere Krankheit handelt, weil Behandlungs-Alternativen bestehen, oder weil der erwartete therapeutische Nutzen nicht gross genug, respektive das Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht angemessen ist.
Vor einem Jahr sind die vier Krankenversicherer von curafutura CSS, Helsana, Sanitas und KPT zusammen mit dem Santésuisse-Mitglied SWICA in die Offensive gegangen. Gemeinsam haben sie sich entschlossen die Nutzenbewertung von neuen Wirkstoffen auf Basis publizierter klinischen Studien vorznehmen und sich auf der digitalen Plattform Smartrating zu organisieren.
Wie das so ist, wenn die Kritik gross und die Lösung gut ist, ging es schnell, bis sich weitere Versicherer der Initiative anschlossen. Gut ein Jahr nach dem Start sind auch Concordia, Groupe Mutuel, Visana, Sympany und Atupri mit an Bord. Und es gibt bereits weitere Interessenten, die sich aller Voraussicht nach der innovativen Lösung anzuschliessen werden, womit die Abdeckung nahezu vollständig ist.
Die Vorteile der Plattform sind offensichtlich: Gleiche Ausgangslage für alle Beurteilungen, rechtsgleicher Zugang für die Patienten durch eine schweizweit einheitliche und breit abgestützte, wissenschaftliche Studienbeurteilung, die Einbettung in den klinischen Kontext, die transparente Darstellung der Entscheide sowie digitalisierte Abläufe.
In der Praxis funktioniert die Zusammenarbeit wie folgt: Wirkstoff, Indikation, Studien werden von den Vertrauensärzten der angeschlossenen Versicherer auf der Plattform platziert. Die Vertrauensärzte der teilnehmenden Versicherer geben ihr Rating ab; diese werden gemeinsam diskutiert. Das Ergebnis: Eine gemeinsame einheitliche Beurteilung. In der Folge wird das Branchenrating auf der Plattform festgehalten. Die Vertrauensärzte nutzen dieses als Basis bei der jeweiligen Einzelfallbeurteilung.
Nachdem zu Jahresbeginn ein Einzelfall basierend auf einem abschlägigen Studienrating in den Medien beleuchtet wurde, und der Off-Label-Use im Rahmen der Revision bei den Medikamenten zur Debatte steht, ist es curafutura wichtig, diese Plattform als offensichtlichen Mehrwert für alle Akteure zu beleuchten.
Die Plattform ist eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Für die Patienten, da sie sich sicher sein können, dass die Beurteilung breit abgestützt ist. Für die Vertrauensärzte, weil sie ihre Entscheide schneller und auf einer soliden Basis fällen können, was wiederum für die Patientinnen und Patienten wichtig ist. Und weil das Vorgehen einheitlich und somit nachvollziehbar ist. Aber auch der Zusammenschluss von 10 Versicherern zeigt: Bei guten Ideen spannt die Branche schnell und unkompliziert zusammen.
«Vom Ergebnis sind die angeschlossenen Versicherer überzeugt, weil einheitliche Studienratings flächendeckend zur Verfügung stehen», sagt Andreas Schiesser, Projektleiter Pharma und Medikamente.
Dass nun unter anderem die Forderung im Raum steht, einen Expertenrat die Beurteilung vornehmen zu lassen, ist für curafutura insofern zu hinterfragen, «weil Experten bereits heute im wöchentlichen Austausch bei Bedarf und Unklarheit zur Stellungnahme beigezogen werden und dieser pragmatische Ansatz auf positives Echo stösst», sagt Pius Zängerle, Direktor von curafutura.
Die Plattform sei in der Tat ein gutes Beispiel für gemeinsame Zusammenarbeit zugunsten der Patientinnen und Patienten, so Zängerle. Würde dieses Beispiel einer unkomplizierten, effizienten und effektiven Kooperation Schule machen, wäre dies nach Ansicht von curafutura sehr zu begrüssen. Wird jetzt im Rahmen der KVV-Revision eine neue Lösung aus dem Boden gestampft, nachdem diese Initiative auf breite Zustimmung stösst und bereits 10 Versicherer mit einer Patientenabdeckung von 80 Prozent dabei sind, werde die Botschaft ausgesandt: Nur, was Top-down komme, sei gut. Wirksame Eigeninitiative der Akteure hingegen werde torpediert, selbst wenn sie beinahe flächendeckend umgesetzt, wenig Ressourcen fressend und erst noch einfach strukturiert statt stark reguliert ist.
Der Ständerat will nichts von einem unmittelbaren Eingriff des Bundesrates in den veralteten ambulanten Arzttarif TARMED wissen. Das ist ein Bekenntnis für die Zukunft der neuen ambulanten Tarifstrukturen, namentlich des TARDOC. Gleichzeitig erweitert die kleine Kammer aber den Handlungsspielraum von Bund und Kantonen im Bereich der ambulanten Tarife. Das ist ein unnötiger bürokratischer Ausbau und schwächt die Tarifpartnerschaft. Hingegen begrüsst curafutura die klaren Entscheide des Ständerates gegen eine Überregulierung der Reserven, der sich insbesondere gegen eine maximale Obergrenze entschieden hat. Dies hätte unweigerlich zu einem Jojo-Effekt bei den Prämien geführt.
Tarifverhandlungen obliegen den Tarifpartnern. Das sieht das Bundesgesetz über die Krankenversicherung so vor. Für curafutura ist es daher unverständlich, dass der Ständerat nun Bund und Kantonen mit weiteren, ergänzenden Kompetenzen im Bereich der ambulanten Tarife ausstatten will. Bereits heute verfügen sowohl Bund als auch Kantone über Handlungsoptionen im Bereich von Tarifeingriffen im ambulanten Bereich. Indem der Ständerat beiden Exekutivbehörden im Rahmen der Debatte der Kostenbremse-Initiative und des Gegenvorschlags weitergehende Instrumente in die Hand gibt, wird der Prozess nur verkompliziert. Das führt zu einem unnötigen Bürokratieausbau und schwächt die Tarifpartnerschaft.
Erfreulich ist hingegen die Bereitschaft der kleinen Kammer, die Zukunft des ambulanten Arzttarifs ohne den veralteten TARMED zu planen. Das ist ein positives Signal für den TARDOC, der gemäss Fahrplan des ambulanten Tarifbüros OAAT wenn möglich gemeinsam mit Pauschalen per 1. Januar 2025 an den Start gehen soll. Es ist ein gutes Beispiel für erfolgreiche Tarifverhandlungen, namentlich von curafutura, FMH und MTK. Inzwischen warten viele Akteure auf seine Einführung.
Reserven: Deutliche Mehrheit sagt Nein zu einer Obergrenze
curafutura begrüsst die klaren Entscheide des Ständerates gegen eine Überregulierung der Reserven. Insbesondere hat er sich gegen die Einführung einer maximalen Obergrenze von 150% der Solvenzquote entschieden (30 zu 10 Stimmen). Dies macht aus mehreren Gründe Sinn. Erstens hat sich in den letzten Monaten gezeigt, wie wichtig ausreichende Reserven im System sind. Die Reserven wurden u.a. im Jahr 2022 benötigt, da die Kosten die Prämien überstiegen. Bundesrat Berset nannte in der Debatte aktualisierte Zahlen: Die Reserven sind von 12 Milliarden auf 9 Milliarden gesunken.
Darüber hinaus besteht das Problem einer verbindlichen Obergrenze darin, dass sie unweigerlich zu einem Jojo-Effekt bei den Prämien führen würde. Es gäbe Jahre, in denen die Reserven gesenkt werden müssten, weil sie über der 150%-Grenze liegen, was die Prämienlast verringern würde. Und es gäbe andere Jahre, in denen die Prämien nicht nur den Kostenanstieg decken, sondern auch die Wiederauffüllung der Reserven ermöglichen müssten, was zu einem zusätzlichen Anstieg der Prämien führen würde.
Kooperation ist einer der Grundwerte von curafutura: gute Lösungen enstehen oft aus Partnerschaften zwischen den Akteuren. In diesem Sinne lassen wir in einer Reihe von Interviews die Akteure des Gesundheitssystems zu Wort kommen.
Im Vordergrund stand die Erkenntnis, dass eine hausärztlich koordinierte medizinische Versorgung zu einer besseren Behandlungsqualität führt. Zudem haben wir Ärztinnen und Ärzte eine Verantwortung für den sorgfältigen Einsatz der Ressourcen und für eine langfristige Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems. Mit einer hausärztlich koordinierten Versorgung können wir bis zu 20 Prozent der Kosten einsparen.
Für die Patienten, die das wollen. Wenn wir uns auf Behandlungen konzentrieren, die wirklich einen Nutzen bringen, können wir viel einsparen. Mit den modellversicherten Patienten einigen wir uns auf diese Strategie und lassen alles weg, wofür es keine Evidenz gibt. Das heisst: Integrierte Modelle machen die Medizin effizienter und führen gleichzeitig zu bessern Behandlungsresultaten. Aber die Effizienz zu erhöhen, ist aufwändig und anstrengend – für alle Player. Das kann nur freiwillig geschehen.
„Volkswirtschaftlich sind die guten Hausarztnetze mit Verträgen mit Versicherern die einzigen Modelle, mit denen substantiell Kosten eingespart werden können.“
Patientinnen und Patienten können sich einen persönlichen Hausarzt und damit auch eine kontinuierliche Arzt-Patienten-Beziehung sichern. Auf dem Land ist das schon heute nur noch in solchen Modellen möglich. Bald wird es in der ganzen Schweiz den Zugang zu guten Hausärzten nur noch über die koordinierte Versorgung geben. Volkswirtschaftlich sind die guten Hausarztnetze mit Verträgen mit Versicherern die einzigen Modelle, mit denen substantiell Kosten eingespart werden können.
Im Gegenteil. Je spezialisierter und fragmentierter die medizinischen Behandlungen werden, desto mehr braucht es eine Hausärztin, die begleitet und gemeinsam mit Patienten den richtigen Behandlungspfad wählt. Der Hausarzt führt das medizinische Dossier mit Medikationskarte, Diagnoseliste, relevanten Berichten et cetera.
Wir erleben bei den alternativen Versicherungsmodellen einen Boom. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung hat ein solches Modell gewählt. Die richtige kontinuierliche Betreuung von kranken Menschen können allerdings nur Ärztinnen und Ärzte in einem Netzwerk gewährleisten, das mit den Versicherungen Verträge abgeschlossen hat. Davon profitiert heute etwa ein Viertel der Bevölkerung. Die restlichen 50 Prozent gehören einem telemedizinischen Modell an, das in Bagatellfällen beraten kann. Oder in einem von den Kassen einseitig ausgerufenen Listenmodellen, das nichts mit koordinierter Betreuung zu tun hat.
„Das ist eine Stärke unseres Systems: Es gibt eine grosse Freiheit. Zu der muss man Sorge tragen.“
Wir haben seit vielen Jahren eine exzellente Zusammenarbeit mit vielen grossen Kassen, mit denen wir vertraglich die kontinuierliche Betreuung der Patienten im Hausarztmodell regeln, Qualitätsstandards und Vergütungsregeln vereinbart haben. Das ist grossartig und beruht auf der dreifachen Freiwilligkeit der PatientInnen, der ÄrztInnen und der Versicherer. Das ist eine Stärke unseres Systems: Es gibt eine grosse Freiheit. Zu der muss man Sorge tragen. Es gibt aber immer noch Versicherungen, die das Potenzial der hausärztlich koordinierten Versorgung nicht erkannt haben.
Eingriffe sind extrem heikel, wenn sie regulieren oder Mengengerüste festlegen wollen. Ich stelle mich dem nicht grundsätzlich entgegen, aber man muss sehr aufpassen. Der Bund und die Kantone übertreffen sich in Verordnungen, die weit über das Ziel hinausschiessen. Politikerinnen und Politiker haben per se den Auftrag, etwas zu machen. Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, sie würden besser nichts machen. In einem so grossen, komplexen System braucht es manchmal einfach Geduld.
Sehen Sie: Bei den guten Hausärztinnen und -ärzten wird es nur noch Platz für Patienten mit dem richtigen Versicherungsmodell geben. Schon heute sind praktisch alle Hausarztpraxen überfüllt. Patientinnen und Patienten werden merken, dass sie irgendwann einen Hausarzt brauchen. Dann werden sie in das richtige Versicherungsmodell wechseln.
Das BAG hat runde Tische für die integrierte Versorgung verlangt. Spitex, Ärzte, Apotheker und so weiter sollen zusammen eine Lösung erarbeiten. Ich kann Ihnen sagen: Da wird genau gar nichts herausschauen. Denn alle Akteure setzen sich einzig für ihre Interessen ein und wollen einen Teil des Kuchens, einen möglichst grossen Teil.
Fakt ist: Es können nicht alle steuern. Steuern soll derjenige, der die grösste Generalistenerfahrung hat. Und das ist nun mal der Hausarzt. Er hat eine umfassende Sicht der Dinge. Ich verstehe die Angst, übergangen zu werden. Wir sollten gescheiter Kooperationsvereinbarungen zwischen verschiedenen Leistungserbringern ausarbeiten, statt unsere Zeit an runden Tischen verschwenden.
„Es sind viele Eingriffe ins System geplant, deren Auswirkungen man nicht kennt – und das dünkt mich gefährlich.“
Insgesamt haben wir eine hervorragende Versorgung in der Schweiz und einen fantastischen Freiheitsgrad der Akteure. Das ist einzigartig. Das ist es, was mich antreibt: Wir haben ein tolles, kostbares, aber teures System, bei dem man aufpassen muss, dass man es nicht zerstört. Es sind viele Eingriffe ins System geplant, deren Auswirkungen man nicht kennt – und das dünkt mich gefährlich.
Wir müssen uns alle anstrengen, dass wir die Ressourcen sehr sorgfältig einsetzen. Die Verschwendung wegzulassen, ist sehr anspruchsvoll und ich bin überzeugt, dass der Hausarzt dabei die zentrale Rolle spielen muss. Das heisst auch: Wir müssen den Hausarztberuf attraktiver machen. In dem wir vielleicht auf dem Land die entsprechenden Infrastrukturen zur Verfügung stellen. Die koordinative Leistung der Hausärztinnen und Hausärzte muss im Zentrum stehen, um die Kosten zu senken und die Qualität zu steigern. Dafür gibt es zahlreiche Studien. Unnötige, unkoordinierte Medizin hat Nachteile, gesundheitliche und finanzielle.
Bundesrat Berset will im Massnahmenpaket 2 die koordinierte Versorgung stärken, indem er sie durchreguliert. Das ist ein gefährlicher und völlig unnötiger Schritt. Die koordinierte Versorgung hat sich grossartig entwickelt und wird laufend besser. Gesetzliche Regeln würden diese Innovation abwürgen. Die Situation ist geradezu grotesk: Die aktivistische Politik ist besessen von stetigen Eingriffen und Vorschriften. Alain Bersets Amtsführung führt zu einer Reformwut, die noch längst nicht ausgestanden ist – und unter der wir Ärztinnen und Ärzte und das ganze System leiden.
An das katastrophale Qualitätssicherungsgesetz. Oder die notdürftige Zulassungsregulierung: Diese ist kaum in Kraft und muss bereits revidiert werden.
Die Massnahmen gefährden die Weiterentwicklung der hausärztlich koordinierten Versorgung mit einer Flut von Vorschriften, die bereits im Gesetzestext vernichtend sind. Kommt dann erst noch die Verordnung aus dem BAG dazu, dann wird die Erfolgsgeschichte der alternativen Versicherungsmodelle einfach erstickt. Netzwerke müssten dann nach einem durchregulierten Raster organisiert und zusammengesetzt sein. Alles würde schwerfällig und bewilligungspflichtig. Die Kantone müssten den Netzwerken mit abermals weiteren Auflagen kantonale Leistungsaufträge geben und ihre Qualität überprüfen. Das ist ein Albtraum für die koordinierte Versorgung. Sie konnte sich nur in einem freien Umfeld bis jetzt so hervorragend entwickeln.
„Politik und Verwaltung reagieren auf unbefriedigende Zustände immer mit neuen Gesetzen und Verordnungen, die über das Ziel hinausschiessen. Alle gesundheitspolitischen Vorlagen der letzten Jahre legen davon ein trauriges Zeugnis ab.“
Politik und Verwaltung reagieren auf unbefriedigende Zustände immer mit neuen Gesetzen und Verordnungen, die über das Ziel hinausschiessen. Alle gesundheitspolitischen Vorlagen der letzten Jahre legen davon ein trauriges Zeugnis ab. Die Verordnung zum neuen Heilmittelgesetz (VITH) erstickt mit ihren Auflagen das Aushandeln von Rabatten mit der Industrie. Das neue Qualitätsgesetz stockt wegen der realitätsfernen Auflagen in der Umsetzung und findet für die zur Verfügung stehenden Millionen kaum Projekte. Das Elektronische Patientendossier (EPD) bringt keinen Nutzen und muss den Spitälern und Leistungserbringern regelrecht reinprügelt werden. Es wird auf der ganzen Linie scheitern. Die Zulassungsregulierung gefährdet die Versorgungssicherheit und wird zu einer Flut von juristischen Prozessen führen. Vieles wurde überstürzt eingeführt und verursacht nur Kosten und Ärger.
Die obligatorische Rechnungskopie an die Patienten. Sie wurde dem System ohne Realitätscheck aufgezwungen. Kein Intermediär und kein Praxisinformatiksystem konnte das umsetzen. Viele ältere Patienten sind zudem verwirrt. Davon profitiert nur die Post: Sie kann Millionen von Briefen verschicken und die Leistungserbringer müssen es bezahlen.
Wir brauchen einerseits Ruhe in diesem Reformeifer und andererseits die Deblockierung wichtiger unbestrittener Reformwerke wie EFAS und TARDOC. Dafür reichen für die koordinierte Versorgung zwei minimal invasive Eingriffe: Seriös arbeitende Hausärztinnen in vertraglichen Netzwerken wollen nicht auf Listen aufgeführt werden, die sich dem Patienten gegenüber irreführenderweise als Hausarztmodell angepriesen werden. Sie müssen also die Möglichkeit haben, sich von den Listenmodellen streichen zu lassen (Art. 41 Abs. 4 KVG). Zudem bin ich dafür, dass das BAG mit der Prämienkontrolle bei den AVM aufhört. Versicherungen sollen ihre Prämien frei festlegen können (Art. 101 KVV).